Düsseldorf Debatte um nackte Kinder in der Kunst

Düsseldorf · Die Auseinandersetzung um Kinderpornografie hat nun auch die Museen erreicht. Zwei rheinische Direktoren warnten jetzt davor, Malerei mit nackten Kindern zu ächten. Die Lüsternheit liege schließlich im Auge des Betrachters.

Seit langem war bekannt, dass die Künstler der Gruppe "Die Brücke" in ihrer auch sexuell freizügigen Gemeinschaft gern nackte Kinder um sich sahen. Die Bildnisse, die sie von ihnen schufen, erlangten Weltruhm, und ob es beim Malen geblieben war, darüber machten sich die Bewunderer von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Otto Mueller wenig Gedanken. Man wusste es nicht.

Vor vier Jahren setzte dann mit der Eröffnung einer Kirchner-Retrospektive im Frankfurter Städel-Museum eine Debatte ein, die jüngst durch den Fall des SPD-Politikers Sebastian Edathy, der des Kaufs von Kinderpornografie verdächtigt wird, erneut aufflammte: Wenn wir die Verbreitung von Kinderpornografie ächten, müssen wir dann nicht auch in den Museen aufräumen?

Das Museum Folkwang in Essen gab schon vor dem Fall Edathy eine Antwort. Es sagte eine geplante Ausstellung mit mehr als 2000 Polaroid-Fotos ab, die der französische Künstler Balthus (1908–2001) von dem halbnackten minderjährigen Mädchen Anna in zweideutigen Posen gemacht hatte. 2007 hatte an einer Balthus-Schau im Kölner Museum Ludwig noch kaum jemand Anstoß genommen.

Hinter den Stand der Diskussion, die mit der Frankfurter Kirchner-Ausstellung einsetzte, kann seitdem niemand mehr zurückfallen. Kurator Felix Krämer, der mit Bedacht alle wirklich anzüglichen Motive ausgespart hatte, erklärte in einem Interview mit der Zeitschrift "art" auf die Frage, ob auf Kirchners Darstellung von Mädchen der Begriff "Kindesmissbrauch" zutreffe: "Absolut. Das war Missbrauch! Vielleicht kein körperlicher, das kann ich nicht belegen, obwohl es dafür Indikatoren gibt. Aber Kinder mit gespreizten Beinen zu zeichnen oder sie überhaupt in diesen Zusammenhang zu bringen, das ist nach heutigen Definitionen eindeutig als Missbrauch zu bewerten. Fränzi war acht Jahre alt, als sie Brücke-Modell wurde."

Die Brücke-Künstler standen in ihrer Vorliebe für das Motiv "kindlicher Akt" nicht allein. Paul Gauguin verführte eine 13-Jährige zur Heirat und gab auch in seinen Bildern von Minderjährigen mehr wieder als nur die Liebe zu einem ursprünglichen Leben im Einklang mit der Natur. Und Egon Schiele musste sich vor Gericht wegen sexueller Übergriffe auf Minderjährige verantworten. Ihre Werke befanden sich schon jenseits einer moralischen Grenze, während man zum Beispiel Edvard Munchs Bild "Pubertät" noch diesseits verortet.

Was die Bewertung so schwierig macht, ist der Umstand, dass auch die Brücke-Maler gute Gründe für ihre Aktdarstellungen nannten. Junge, ihrer Sexualität noch unbewusste Menschen im Einklang mit der Natur – ist das keine schöne Vorstellung? Das mögliche Voyeurtum ist schließlich eine Angelegenheit des Betrachters, nicht der Betrachteten und auch nicht unbedingt des Künstlers.

Darauf wies jetzt der Direktor des Von-der-Heydt-Museums in Wuppertal hin, Gerhard Finckh. "Kunst ist das Medium, in dem Tabus verletzt werden", sagte er. "Die Lüsternheit liegt im Auge des Betrachters. Deswegen darf man die Kunst nicht verbieten." Der Chef des Leverkusener Museums Morsbroich, Markus Heinzelmann, argumentiert ähnlich: Es müsse möglich sein, über Gewalt oder Tabus der Gesellschaft "in einem vernünftigen Rahmen" zu diskutieren. "Welcher Ort sollte dafür besser geeignet sein als das Parlament oder das Museum?"

Andere Kunsthistoriker erinnern daran, dass nackte Kinder in aufreizenden Posen seit Jahrhunderten ein gängiges Motiv sind. Barocke Kirchen seien mit Tausenden nackten Putten gefüllt; nur schaut da keiner mehr so genau hin.

Im Übrigen nahm noch 2008 niemand Anstoß daran, dass die Ausstellung "Diana und Actaeon – Der verbotene Blick auf die Nacktheit" im Düsseldorfer Museum Kunstpalast neben zahllosen Erwachsenen-Akten auch Bilder nackter Kinder enthielt.

Wie soll man sich heute zum Thema "nackte Kinder in der Kunst" verhalten? Niemandem wäre damit gedient, hängte man alle Bilder dieses Genres in den Museen ab und in Wechselausstellungen gar nicht erst auf. Die meisten Betrachter werden Otto Muellers wunderschöne Akte nicht mit den Augen eines Voyeurs wahrnehmen, sondern als farbliche Hymne auf die menschliche Freiheit und Ungebundenheit, als Lob der Schöpfung und Ausdruck hohen künstlerischen Könnens. Ist derjenige naiv, der die Dinge so sieht? Das wäre schade.

Dennoch hat der Kurator der Frankfurter Kirchner-Retrospektive recht: Man muss nicht alles zeigen. Und wenn Folkwang-Direktor Tobia Bezzola seine Balthus-Schau absagt, zeugt das von seinem Gespür für Strömungen in der Gesellschaft.

(RP)
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