Der edelste deutsche Humorist

ammerland Natürlich wird man ihn so in Erinnerung behalten: als den Herrn im dreiteiligen Maßanzug, der mit Haltung, aber nicht steif auf dem grünen Sofa sitzt, den Arm angewinkelt, den Blick geradeaus und die schmalen Lippen gerade so weit in die Höhe gezogen, dass die Ironie dieser Pose durchschimmert. So komisch kann Würde sein, so aristokratisch Persiflage. Loriot war der größte Humorist der Deutschen seit Fontane, weil er jene Wachheit besaß, Menschen in ihrem komischen Ringen um Anerkennung zu durchschauen, doch war er eben auch Preuße genug, die Durchschauten niemals zu verleumden. Sein Humor ist bissig, unbestechlich und doch gütig.

So hat es Loriot zu einem Komiker gebracht, der die Deutschen zugleich am treffendsten karikierte in ihrer ganzen drögen Schulmeisterlichkeit, blasierten Bildungshuberei, politischen Verquastheit und doch von seinen Landsleuten geliebt wurde wie kein anderer. Das zeigt sich zum Beispiel daran, wie sehr sich Loriot in den deutschen Sprachschatz eingeschrieben hat. Begriffe wie "Jodeldiplom", "Winselstute", "Steingrau" gehören zum Allgemeingut. Die Szenen dazu haben sich eingebrannt ins humoristische Gedächtnis der Nation. Der verliebte Vorgesetzte mit der Nudel an der Oberlippe, die zänkischen Campingplatz-Bekannten beim Kosakenzipfel-Festmahl, die betrunkene Vertreterschar auf Frau Hoppenstedts Sofa – das sind urdeutsche Momente, grotesk in ihrer Biederkeit, anrührend in ihrer trauten Muffigkeit. Kaum eine Lebenslage, deren absurder Gehalt nicht durch eine Loriot-Wendung zu entlarven wäre. Da reicht ein "Früher war mehr Lametta!", "Ein Klavier, ein Klavier!" oder – sicher das vieldeutigste Loriot-Zitat – ein arglos lakonisch geseufztes "Ach". Denn das war Loriot auch, ein brillanter Minimalist, ein kühner Beobachter mit dem Blick für das entlarvende Detail.

Diesen Blick hatte er wohl vom Zeichnen. Denn so hat Loriot begonnen, als freiberuflicher Karikaturist, der nach einem kurzen Gastspiel beim "Stern" gesellschaftliche Konventionen in Cartoon-Büchern mit knollennasigen Strichmännchen aufs Korn nahm. Loriot, der als Victor von Bülow 1923 in Brandenburg an der Havel in eine alte preußische Offiziersfamilie hineingeboren wurde, wuchs nach der frühen Trennung der Eltern und dem Tod der Mutter zunächst bei Großmutter und Urgroßmutter auf, dann wieder beim Vater, der zum zweiten Mal geheiratet hatte.

1941 wurde er nach dem Not-Abitur zum Kriegsdienst eingezogen, kam an die Ostfront. Über diese Jahre hat er erst gegen Ende seines Lebens gesprochen, etwa als er in einem Interview "die später beschämende Erkenntnis" einräumte, "das Grauen des Krieges hingenommen und eingeordnet zu haben". Loriot hat sich nie über andere erhoben, wenn er auch die Distanz hatte, deutsche Pedanterie, komische Verklemmtheit, das Missverstehen zwischen Mann und Frau zu erkennen, zu porträtieren und dabei galant zu überzeichnen. So ist er auf unterhaltsame Art ein Aufklärer gewesen. Eben kein Besserwisser wie Vati Hoppenstedt, sondern ein feiner Satiriker, der auf die erhellende Kraft des klugen Witzes vertraute. "Humor beruht auf einer sehr kritischen Betrachtung des eigenen Ichs", hat er mal gesagt.

Die kühle und nie uneitle Schärfe eines Thomas Mann hat er bewundert, er selbst pflegte einen wärmeren Snobismus, machte Möpse, lange bevor sie zu Kulthunden wurden, zu den Gefährten seiner Familie. 1951 heiratete er die Modezeichnerin Romi Schlumbom, im April konnte das Paar noch Diamantene Hochzeit feiern. Doch hatte das Alter von Bülow da schon sehr viel Kraft geraubt. Mit seiner Frau Romi hatte Loriot zwei Töchter, 1954 und 1958 wurden Bettina und Susanne geboren. Als der Vater in jüngster Zeit schwächer wurde, zog die jüngere Tochter aus Italien nach Bayern, kümmerte sich um die Eltern in der Villa in Ammerland am Starnberger See. Solche Details drangen selten an die Öffentlichkeit, seine Familie hat Vicco von Bülow stets geschützt, abseits seiner Fernsehauftritte war er der Gentleman-Karikaturist, der spöttische Dialog- und Verse-Schmieder, der bis ins hohe Alter in Gesprächen elegante Schlagfertigkeit bewies.

Dabei konnte Loriot durchaus deftig sein. Wenn er mit seiner kongenialen Sketch-Partnerin Evelyn Hamann auf einem Bürosessel den Geschlechterkampf ausfocht, dann hat er dick aufgetragen, mit Lust chargiert. Er mochte auch das naiv Komische, wenn er den Monster-Darsteller gab, der eben keine Maske trug oder eine ganze Zimmereinrichtung zu Bruch gehen ließ, weil ein Bild nicht wasserwaagengerade an der Wand gehangen hatte. Wie die Hanseatin Hamann schätzte Loriot Disziplin, Contenance, war beim Dreh akribisch und hatte genau darum auch Sinn für Übertreibung, Verkleiderei. Er war kein ernster Mensch. Aber eben auch fern jeder Blödelei.

Mit Hamann gelangen Loriot auch die überaus erfolgreichen Ausflüge in die Filmwelt. Natürlich sind die Liebesabenteuer des reifen Muttersöhnchens "Ödipussi" und das Alltagsabenteuer des überraschend pensionierten Managers in "Pappa ante Portas" eine Abfolge von Sketchen. Und natürlich haben solche auf Filmlänge gedehnten Szenen-Reihen nicht die Prägnanz seiner Fernseh-Miniaturen. Doch in einer Zeit, da der deutsche Film noch nicht oft die Massen ins Publikum zog, gelang Loriot mit seinen Filmen echte Familienunterhaltung. Seine Charaktere waren eben differenziert genug, um auch einen Kinoabend lang spannend zu bleiben. Nostalgie befällt einen, wenn man diese Filme heute sieht. Oder nochmal anschaut, wie Wim Thoelke im Wissensquizz-Saurier "Der große Preis" unbeholfen vor einer Leinwand mit Loriots Zeichentieren Wum und Wendelin scherzt. Es gab Zeiten, da man Kinder mit der Aussicht auf diese Einspieler einen ganzen Fernsehabend lang vertrösten konnte. Natürlich hat Gesellschafts-Seismograph Loriot genau gespürt, als diese Zeit vorüber war. 1996 erklärte er sein "Fernsehgesamtkunstwerk" für vollendet, tauchte zehn Jahre später nur noch einmal in einer Talk-Show auf, in der er seinen endgültigen Rückzug ins Privatleben verkündete. Das Fernsehen sei zu schnell, zu fahrig geworden für seine Kunst, sagte er damals. Und tatsächlich werden in Loriot-Sketchen ja keine Pointen gedroschen, sie sind Schauspiel-Miniaturen, kein Schnellimbiss, sondern Slow Food für Genießer. Darum muss man sich um sein Werk keine Sorgen machen. Es gehört längst zum Humor-Kanon.

Und ist doch nichts Elitäres. Das ist insgeheim vielleicht die eigentliche Leistung dieses edlen Humoristen. Loriot hat Niveau nie gegen das Publikum gewandt, nie über Köpfe hinweg gewitzelt, sondern wollte populär sein, allem Kulturpessimismus zum Trotz. So hat er selbst Lehrreiches über klassische Musik wie Saint-Saëns' "Karneval der Tiere" in vergnügliche Abendunterhaltung verwandelt. In diesem Sinne war seine Kunst politisch, obwohl er als der Harmlose gescholten wurde. Es waren die Hoppenstedts dieser Nation, die besser zu wissen glaubten, was politisch ist. Dabei hat Loriot doch unseren Blick für uns selbst geschärft. Und trotzdem mit uns gelacht. Er war der Revolutionär des deutschen Humors.

(RP)
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