Wim Wenders Der Filmemaler

Wim Wenders ist produktiv wie nie. Die Berlinale würdigt den Regisseur mit einer großen Retrospektive und dem Goldenen Ehrenbären.

Am Ende geht Josef Bloch noch einmal auf den Sportplatz. Er sieht dem Torwart zu, der am Rande steht, abseits des Geschehens, unbeobachtet - bis der Angriff kommt. Bloch ist auch mal Tormann gewesen, ein Profi, doch er hat gebrochen mit der Welt. Er hat eine Frau ermordet, mit der er eine Nacht verbrachte. Dann hat er sich treiben lassen, ist in Provinzgasthöfen abgestiegen, hat den anderen beim Leben zugesehen, ab und zu Münzen in eine Jukebox geworfen. Doch auch die Musik hat ihn nicht erlöst.

1971 drehte Wim Wenders seinen ersten Langfilm in Farbe mit professionellen Schauspielern: "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter." Lange war der Film öffentlich nicht zugänglich, weil Wenders die Musikrechte nicht besaß. Nun ist er aufwendig restauriert und digitalisiert worden, die Musik wurde neu eingespielt, Rechte wurden geklärt. Bei der Berlinale, die am Donnerstag beginnt, wird diese Fassung Premiere haben. Das Festival ehrt den Regisseur mit einer großen Werkschau und wird ihm den Goldenen Ehrenbären verleihen. Wenders wird im August 70, sein aktueller Spielfilm "Every Thing Will Be Fine" mit James Franco und Charlotte Gainsbourg läuft in Berlin im Wettbewerb. Dort trifft er auf Werke namhafter Kollegen: Werner Herzog, Kenneth Branagh und Terrence Malick zeigen neue Arbeiten. Stars wie Nicole Kidman, Juiette Binoche und Robert Pattinson reisen an.

Wenders wird in Berlin viel Beachtung erfahren, er ist im Rennen um einen Oscar, der Regisseur ist produktiv wie nie. Zugleich hat er begonnen, Bilanz zu ziehen. In seiner Geburtsstadt Düsseldorf hat er eine Stiftung gegründet, dort wird sein Gesamtschaffen geordnet und zugänglich gemacht. Wenders möchte, dass sein Werk ein Eigenleben entwickelt, dass seine Filme weiter wirken, allen gehören.

Dass nun nach einem Kraftakt etwa sein Frühwerk "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" wieder zu sehen sein wird, ist ein Glücksfall. Die Verfilmung einer Erzählung von Peter Handke, mit dem Wenders befreundet ist, ist ein intensiver, packender, eigenwilliger Thriller, der bereits viele Figuren und Motive enthält, die Wenders' gesamtes Schaffen bestimmen sollten: den Einzelgänger, der die Welt beobachtet; das Unterwegssein ohne Ziel; die Provinz in ihrer malerischen Schönheit wie alltäglichen Stumpfheit. Davon erzählt Wenders in Bildern, die sorgsam komponiert sind wie Gemälde. In vielen seiner Filme ist ja nicht die Handlung ergreifend, oft wirkt das Geschehen eher schleppend, erzählt Wenders distanziert, beobachtend, fast abstrakt. Es sind die Orte, Räume, Landschaften, die den Zuschauer einnehmen, ihn verwandeln. Er gerät in die Stimmung dieser Bilder, sieht anders hin, hört anders zu, öffnet sich für die gewichtigen Sätze, die Wenders-Figuren so dahinsagen.

Eigentlich wollte Wenders ja Maler werden, als er 1966 nach Paris auszog. Künstler ist er dort auch geworden, allerdings entdeckte er in der Cinémathèque Francaise den Film als sein Medium; für ihn ist er die "Fortführung der Malerei mit anderen Mitteln". Zudem ist Wenders Fotograf, und es sind vielleicht sein Blick für Ausschnitte und sein Gespür für das Wesen und die Wirkung der Dinge, die seinen Spielfilmen jene eigenwillig kunstvolle Ausstrahlung geben.

Die Präzision, mit der Wenders jedes einzelne Bild seiner Filme zu gestalten scheint, hat ihn jedenfalls auch zu einem außergewöhnlichen Dokumentarfilmer gemacht. Und seine Empfänglichkeit für das Schaffen anderer Künstler. So hat er sein Publikum für die Musik des "Buena Vista Social Club" begeistert. So hat er das Tanztheater der Pina Bausch mit den Mitteln von 3D in das Medium Film transponiert. So führt er in "Das Salz der Erde" tief in das Schaffen des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado und nutzt in dieser Dokumentation sein Können als Filmemacher, um die Macht der Fotografie zu beschwören. Im Februar könnte ihm dieser Film den Oscar bringen. Er käme zur rechten Zeit.

(RP)
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