Düsseldorf Der Idiot, der die Wahrheit spricht

Düsseldorf · Matthias Hartmann bringt Dostojewskis Roman auf die "Central"-Bühne des Düsseldorfer Schauspiels.

Wie ein großes Kind sieht er aus. Die Haare struppig, das Sakko viel zu groß, die Hände immer unsicher in Bewegung. Fürst Myschkin nimmt alle für sich ein. Als Außenstehender kommt der junge Mann in die St. Petersburger Gesellschaft und hält ihr in seiner naiv-offenen Art den Spiegel vor. Den Roman "Der Idiot" von Dostojewski hat Matthias Hartmann mit seinem Ensemble für die Bühne adaptiert. Nun hat Intendant Wilfried Schulz die Produktion von Dresden nach Düsseldorf geholt, wo sie im "Central" Premiere feierte.

Roman-Adaptionen sind auf der Bühne heute nichts Besonderes mehr. Kaum ein Werk der Weltliteratur, das es nicht auf die Bretter geschafft hat. Bei einer fast 1000-seitigen Vorlage mit zahlreichem Personal wie bei "Der Idiot" ist dies sicher eine extreme Herausforderung. Das Schöne an dieser Bühnen-Fassung ist, dass sie nicht so sehr auf Dialoge setzt, sondern den Erzähltext samt Brüchen mitliefert. Sätze wechseln mittendrin den Sprecher, wenn der Bezug sich ändert. So kommt es zu teils komischen Reibungen zwischen Erzählung und Handlung, etwa wenn Figuren nicht das befolgen, was der Text gerade sagt, oder dies in übertriebener Weise tun. General Jepantschin beispielsweise sagt solange "Gawrila sah zu Boden", bis dieser den Kopf senkt. Eine Machtprobe.

So besitzt vor allem der erste Teil des mit vier Stunden etwas zu langen Abends außerordentlich witzige Szenen, etwa wenn Fürst Myschkin, den André Kaczmarczyk mit einnehmendem Charme spielt, auf die Familie des General Jepantschin trifft. Dabei gibt es ein schönes Wiedersehen mit Thomas Wittmann und Cathleen Baumann, beide lange Zeit Ensemblemitglieder in Düsseldorf. Überaus komisch gibt Rosa Enskat die neurotische Generalin, die, etwas sprunghaft in ihren Emotionen, sich von Fürst Myschkin rasch überzeugen lässt.

Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist jedoch die schöne Nastassja (Yohanna Schwertfeger), die sich von der Lolly lutschenden Lolita zum Boxenluder wandelt und nackt unter dem dicken Pelzmantel den Männern den Kopf verdreht. Zwischen Tozkij (Rainer Philippi), Rogoschin (Christian Erdmann) und Ganja (Kilian Land) entbrennt ein Bieterkampf um das Objekt der Begierde, das mit seinem Schmollmund und den blonden Locken alle verrückt macht, selbst den jungen Myschkin.

Nastassja bringt als Einzige etwas Farbe in die ansonsten in Grau-Schwarz-Tönen gehaltene Ausstattung. Die Bühne (Johannes Schütz) ist ein grauer Baukasten mit Ausziehwänden, mehr zweckmäßig als ästhetisch ansprechend. Der erste Teil des Abends zündet anhand der vielen Ideen, mit denen Matthias Hartmann, Ex-Intendant der Wiener Burg, den Text präzise auslotet und die Figuren lebendig werden lässt. Der zweite Teil zieht sich dagegen etwas, tritt auf der Stelle, kann Text und Figuren kaum neue Nuancen entlocken, sondern spult die Handlung ab bis zu ihrem tragischen Ende, das allerdings noch einmal sehr eindrucksvoll gelingt.

(RP)
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