Der Maestro und die Muse

Viele Musiker und Komponisten haben eine Vertraute. Im Idealfall können sie Noten lesen und verstehen etwas von Buchhaltung.

Erinnert sich noch jemand an Amanda Lear? Jene geschlechtlich nicht genau zu fassende Lady, die in den 70er Jahren mit schwarzen Catsuits, einer Stimme wie aus dem Rauchfang und mulmigen Disco-Songs pubertäre Gelüste bediente? Ihre geheimnisumwobene Existenz war der Kitzel, den der spanische Maler Salvador Dalí brauchte, um die PR-Maschine um seine Bilder mit den brennenden Giraffen und gekochten Bohnen zu befeuern. Das Verruchte der Lady, die zeitweise als Dalís Muse galt, war im Surrealismus-Haushalt des schrägen Künstlers ein willkommenes Gewürz.

Der Künstler und seine Muse - dies ist ein Themenfeld, das die Fachliteratur noch nicht hinreichend beackert hat. Eher scheinen diese Duos und Duette ins Fach des Boulevards und zur leichten Muse zu zählen. Berüchtigt sind jene Exzesse, in denen alkoholisierte und vollgedröhnte Rockbarden luxuriöse Hotelsuiten verwüstet und zuvor ein paar Groupies zur Mitternacht verspeist haben. Diese Zusammenkünfte zwischen Männlein und Weiblein im Angesicht der Kunst gebären auch heute noch regelmäßig Schlagzeilen, wenn vorzeitig verlebte Schlagzeuger, an denen kein Fetzen untätowierte Haut mehr zu finden ist, hinfällige Hollywood-Püppchen ehelichen und schon drei Wochen später den Scheidungsanwalt konsultieren müssen - weil die Damen es nicht ausgehalten haben.

In der Klassik ist das natürlich anders. Der nach einem Schumann-Liszt-Klavierabend randalierende Großpianist in Begleitung einer weiblichen Textilsparmaßnahme ist bislang nicht aktenkundig geworden. Natürlich hat es solche Fälle gegeben, sie fanden nur nicht den Weg in die Zeitungen. Zu früheren Zeiten war der Berufsstand des Paparazzo noch nicht erfunden. Es gab auch keine Revolverblätter, denen Hotelportiers, die ihr Taschengeld aufbessern wollten, Pikanterien aus dem Nachtleben der Stars ausflüsterten. Franz Liszt oder Niccolò Paganini als Hexenmeister mit erst schmachtenden, dann komatösen Zuhörerinnen wären perfekte Lieferanten gewesen.

Trotzdem haben sich auch in früheren Jahrhunderten viele Kunstschaffende einer Muse versichert. Die genauen Beziehungsgeflechte und auch die Vorteile, die ein Künstler aus der Gegenwart einer Muse schlägt, sind nicht genau zu ermessen, denn ihr Berufsbild und ihr Anforderungskatalog sind unklar. Ist sie eine kapriziöse Nymphe, die beizeiten mit verwegener Garderobe an die Seite des Meisters tritt? Ist sie eine Briefpartnerin, die in unendlicher Geduld monatelange Schweigephasen des Genius erträgt?

Ist sie eine zarte Beraterin, eine gebildete Einflüsterin, die im entscheidenden Moment raunt: "Lies mal, was Goethe dazu im ,West-östlichen Divan' schreibt!" Ist sie die Dulderin, an deren Seite dem Genie, zu dem sie aufschaut, jede Eskapade erlaubt scheint? Ist sie der paramilitärische Abschirmdienst (wie Eliette von Karajan), der dem Maestro die Bewunderer vom Leib hält? Oder ist sie die Verbindung von Buchhaltung und Bügelkompetenz und somit zuständig für die lebenspraktische Ordnung im Chaos des Kunstschaffenden? Jedenfalls sind manche Musiker von ihrer eigenen Kunstausübung dermaßen absorbiert, dass normale Beziehungen nur unter erhöhter Opferbereitschaft der Partner möglich sind.

Schauen wir in die Musikgeschichte, so begegnet uns ein überaus schillerndes Panoptikum, aus dem sich überhaupt keine Generallinie abzeichnet, wer eine Muse ist und was sie tut. Können wir uns Beethoven anders vorstellen als im Zustand der verschrobenen Einsamkeit, in der die "ferne Geliebte" vermutlich die perfekte Projektionsfläche war? Wollen wir uns Beethoven wirklich bürgerlich verheiratet vorstellen? Beethoven brauchte vielleicht sogar das Aufbegehren, die Negation, die Entsagung. Ein Prometheus, dem das Leben und die Liebe nicht in die Eingeweide hacken, sondern der um 18 Uhr von Josephine Brunsvik (der vermuteten heimlichen Geliebten) das Abendessen und morgens ein Kipferl serviert bekommt, wäre für visionäre musikalische Konzepte vermutlich nicht zu gebrauchen. Oder doch?

Viele Komponisten (auch Janáek oder Alban Berg) haben sich Liebschaften gestattet, weil sie insgeheim ein Problem mit bürgerlichen Limitationen hatten. Der Ästhet, der zu neuen Ufern strebt, hält nicht viel vom Dekalog des Moses, er möchte nicht vereinnahmt werden. Treuegelübde sind nichts für Genies. Deshalb besaßen viele Komponisten Geliebte, die anderenorts verheiratet waren. Das Musterbeispiel war Richard Wagner mit Mathilde Wesendonck. Moralfragen waren Wagner egal; er brauchte eine Muse, die seinen musikalischen Schutzraum respektierte, gleichsam wie ein Trabant um ihn kreiste, die Distanz wahrte und doch ein belastbares Gefühlsverhältnis einging.

Selbstverständlich breitet sich im Künstlertum nicht selten eine gehörige Portion Narzissmus aus. Wie auch anders: Wer sich nicht selbst für den Nabel der Welt hält, kann ja kaum glauben, dass andere es tun. Da kann eine feinfühlig stützende und bejahende Souffleuse, die im rechten Moment diskret oder verschworen assistiert, nur hilfreich sein. Aber nicht jeder Mann steht auf Elfen. Chopin beispielsweise hatte oft Grund zu klagen über die exzentrische George Sand, die sein Klavierspiel nach den Jahren des etwas ungeordneten Beisammenseins etwas lieblos das "ewige Gedudel" nannte. Trotzdem hat er ihre Nähe über Jahre genossen; ihr Musentum war eher rustikaler Art.

Ähnliches wird man auch von Wanda Horowitz sagen dürfen, der Gattin des großen und übermäßig sensiblen Pianisten Vladimir Horowitz. Sie war der rostige Anker in einer bizarren Ehe, sie kokettierte mit ihrer noblen Herkunft und den Verstrickungen der Gegenwart. Die Tochter des Dirigenten Arturo Toscanini schrieb: "Mein Vater machte mich neurotisch, mein Mann machte mich verrückt." An der Seite des zuweilen infantilen Hypochonders Horowitz musste sie sich um alles kümmern - vom Transport des Flügels bis zum Gagen-Geschacher mit den Agenten. Neben diesen unentbehrlichen Dienstleistungen für das Funktionieren im Großen kümmerte sie sich auch um die Kleinigkeiten des Alltags, etwa dass der Pianist nicht zu viel Eiscreme aß und dass an allen Konzertorten Apfelsaft und Seezunge serviert wurden. Leonard Bernstein bewunderte sie dafür als eine Frau, die ihren Vladimir durch viele Krisen geführt und dem Publikum jedes Mal wieder "inspirierter und großartiger zurückgegeben" hat. Trotzdem haben die Einbrüche Horowitz' immer auch mit ihrer statuenhaften Unbeweglichkeit in Prinzipienfragen zu tun gehabt.

Manchem hätte eine Muse so gut getan, etwa dem notorisch zweifelnden Anton Bruckner, dessen zahllose unerhörte Liebesbriefe an junge Damen ein Extrem darstellen. Auf der anderen Seite stand die Libertinage im Hause Karlheinz Stockhausens. Heutzutage ist der genialische Komponist, der eine Muse beschäftigt, beinahe ausgestorben, das liegt auch an der weiblichen Emanzipation, in der die fortwährende Demutsübung, die man früher von einer Muse verlangte, abgeschafft scheint.

Heutzutage herrscht ein gesunder Pragmatismus, und viele Künstler suchen sich ihresgleichen für die Zweisamkeit. Zahllose prominente Künstler der Gegenwart sind musikintern verehelicht; das fördert die Kommunikation auf Augenhöhe. Renommierte Prachtexemplare dieser musikalischen Vermählungen sind Magdalena Koena und Simon Rattle, Lisa Batiashvili und François Leleux, Elena Bashkirova und Daniel Barenboim. Die Reihe ließe sich beliebig verlängern.

Wie immer landet man am Ende beim Sonderfall Glenn Gould, dem man gern eine lebensbejahende Dame an die Seite gewünscht hätte, die ihn von seinen Zwängen erlöst hätte. Wie man längst weiß, hat er mit der Malerin Cornelia Foss innigen Kontakt gehabt, und zwar über mehrere Jahre; für ihn verließ sie ihren Mann. Aber sie hat nicht auf Dauer mit Gould zusammenleben wollen, denn dessen Wohnung war eine Müllhalde. Das hält auch die stärkste Muse nicht aus.

(RP)
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