Tankred Dorst "Der Mensch will wissen, wie er ist"

Der Dramatiker Tankred Dorst hat ein neues Stück geschrieben, dass bald auch in Düsseldorf gezeigt wird.

Düsseldorf Tankred Dorst (90) wurde in Thüringen geboren, hat seine Karriere als zeitkritischer Autor an einem Marionettentheater begonnen und schreibt seit 1960 für die großen Bühnen des Landes. 1981 erlebte "Merlin oder Das wüste Land" in Düsseldorf seine Uraufführung. 2006 inszenierte Dorst in Bayreuth den "Ring des Nibelungen". Seine Stücke verfasst der Dramatiker zusammen mit seiner Frau Ursula Ehler. So auch "Das Blau in der Wand", das morgen bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen seine Uraufführung erleben wird. Die Inszenierung ist eine Koproduktion mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus, Regie führt David Mouchtar-Samorai.

Wie schreibt man zu zweit ein Theaterstück?

Dorst Im Dialog. Ich habe mir immer einen Partner gewünscht, mit dem ich mich unterhalten kann, wenn wir reden, mit dem zusammen ich es aufnehmen kann mit den Geschichten, die sich beim Schreiben verfertigen. Was wir da machen, wenn wir schreiben, ist eigentlich ein ständig wieder neu begonnenes, immerwährendes Gespräch. Allerdings entwickelt jedes Stück seinen eigenen Schreibprozess.

"Das Blau in der Wand" handelt von der Liebe, vom Älterwerden, vom Erinnern eines Paares - was gab den Impuls für dieses Stück?

Dorst Wir wollten tatsächlich von der Liebe, dem Altern, dem Erinnern erzählen, aber im Stück gibt es nicht nur einen Mann und eine Frau, sondern noch eine dritte Person. Das ist der Tod. Diese Dreierkonstellation hat mich interessiert. Ich sehe mich in allen drei Figuren.

Der Tod hat Gestalt angenommen in Ihrem Leben?

Dorst Ja, irgendwann schleicht sich der Tod ins Leben - als eine schöne Frau.

Als Verführung?

Dorst (lacht) Ja, es gab allerdings mehrere Fassungen des Stückes. Der Tod hatte immer eine andere Gestalt.

Der neue Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses, Wilfried Schulz, ist Co-Produzent der Uraufführung ihres Werkes. Wollten Sie den Text nur einem alten Weggefährten anvertrauen?

Dorst Ja, ich kenne Wilfried Schulz schon lange. Und den Regisseur David Mouchtar-Samorai auch. In unserem Haus gehen viele Menschen ein und aus und reden über Kunst und über Stücke. Und so kam auch David bei uns vorbei, sah das Manuskript, fragte, ob er es mitnehmen dürfe. Und dann wollte er es unbedingt machen. Und weil ich viele schöne Inszenierungen von ihm kenne, war ich überhaupt nicht ängstlich, es ihm anzuvertrauen. Nun bin ich gespannt, welchen Ausgang die Inszenierung in Recklinghausen nehmen wird.

Wie schätzen Sie die Zukunft des deutschen Stadttheaters ein?

Dorst Positiv und negativ - so wie ich überhaupt immer der einen wie der anderen Meinung bin. Ich glaube, das gehört zum Wesen eines Dramatikers, dass er die Dinge von mehreren Seiten betrachten kann. Eigentlich bin ich optimistisch. Der Mensch will wissen, wie er ist. Wie er mit der Welt zurechtkommt. Welchen Charakter er eigentlich hat. Das weiß er eigentlich gar nicht. Und im Theater kann er Antworten finden. Aber natürlich genügen Autoren dieser Anforderung nicht immer. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass ich schreibe, um eine Welt neben der existierenden Welt zu schaffen. Ich erfinde die Welt neu, um mit der vorhandenen umgehen zu können und Überraschungen vorzubeugen.

Macht das Alter milder oder kritischer?

Dorst (lacht) Da muss ich Ihnen wieder beide Antworten geben: Es macht milder. Und es macht kritischer. Ich könnte auch sagen, ich bin einverstanden damit, dass ich viele Entwicklungen in der Welt gelassener betrachte. Zugleich bin ich ungeduldiger geworden. Ich habe nicht mehr so viel Zeit und will meine Arbeit zu Ende bringen, da reagiert man ungehaltener auf alles, was einen aufhält.

DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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