Der Porsche

Der Porsche 911 feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Unser Autor nahm das Jubiläum des Designklassikers zum Anlass und fuhr zum ersten Mal im Traumauto seiner Kindheit. Es wurde eine Begegnung mit einem Stück Kulturgeschichte.

Der Porsche
Foto: Bretz, Andreas

Der Porsche 911 ist das schönste Auto der Welt, in diesem Jahr feiert er seinen 50. Geburtstag, und immer wenn ich einen sehe, freue ich mich und denke an früher.

Es waren die 80er Jahre, ich war zehn und führte Buch über alle Begegnungen mit Porsche-Modellen, ich dokumentierte jede Entdeckung in einem linierten Schreibheft: Datum und Uhrzeit, Farbe, Umstände der Sichtung. Es blieben viele Seiten frei, ich lebte in einer kleinen Stadt im Norden, dort bevorzugte man Mercedes 200 D. Manchmal fuhr zwar ein 924er vorbei, sozusagen der Volks-Porsche, aber den 911er, der im Auto-Quartett stets der Trumpf war, sah ich nur bei Ausflügen mit meinen Eltern nach Oldenburg. Dann saß ich auf der Rückbank unseres Audi 100, das Heft auf den Knien, voller Erwartung.

Der Porsche 911 ist ein Stück deutsche Kulturgeschichte. 1963 wurde er auf der Internationalen Automobil-Ausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt, ab 1964 verkauft. Im selben Jahr präsentierte Mies van der Rohe seinen Entwurf für die Neue Nationalgalerie in Berlin, und Dieter Rams gestaltete den Weltempfänger T1000 der Firma Braun. Wer zukunftsweisendes Design erleben, wer über die lichte, strenge Linienführung von Produkten staunen wollte, musste nach Deutschland kommen. Kein Wunder, dass Steve Jobs, der Mann, der die Firma Apple und ihren ästhetischen Minimalismus verkörperte, einen Porsche 911 fuhr.

Dieses Auto sieht nicht aggressiv aus wie viele andere Sportwagen. Sein Augenaufschlag ist freundlich, er scheint zu schmunzeln. Sein Vorgänger ist der legendäre 356, den Firmen-Gründer Ferdinand Porsche wie einen platt gedrückten, etwas schnelleren Käfer gestaltete. Damals testete man die Aerodynamik, indem man das Auto mit Bindfäden beklebte, in Höchstgeschwindigkeit unter einer Brücke herfuhr und von oben Fotos machte. Was Ferdinand Porsche darauf sah, ließ ihn lächeln: einen souveränen, leistungsfähigen und sympathischen Wagen. Der Journalist Ulf Poschardt, der mit "911" (Klett Cotta, 290 S., 22,95 Euro) das emphatischste und klügste Buch über das Porsche-Jubiläum geschrieben hat, bezeichnet ihn als "Antithese zum mächtigen Kompressor-Mercedes der Nazis, der dem Atelier von Arno Breker entsprungen schien". Der 356 war "eine stolze Demutsgeste voller Eleganz".

Ferdinand Alexander Porsche, genannt Butzi, überarbeitete dieses Auto schließlich. Er war der Enkel von Ferdinand und der Sohn des legendären Geschäftsführers Ferry Porsche. Er streckte die bucklige Form, glättete sie, kühlte die Gemütlichkeit herunter: Er war 27 Jahre alt, als er den 911er schuf. Der Schriftsteller Albert Ostermaier, selbst Porsche-Fahrer, dichtete über den sehnigen Ur-Elfer: "Ein Ur-Text, der nie an Gültigkeit, an Wahrheit verliert." Der 911 sollte eigentlich 901 heißen, aber Peugeot hatte sich bereits Typenbezeichnungen mit drei Ziffern und der Null in der Mitte schützen lassen. Also sagte Ferry Porsche: "Mach ma' halt eine zehn dazu." Die Form wurde im Lauf der Zeit leicht abgewandelt, blieb im Kern aber erhalten. Ein Auto der klassischen Moderne auf dem Weg zu internationalem Stil. Design-Ikone seit fünf Jahrzehnten. Kein Sportwagen hat sich so lange gehalten. Von 800 000 verkauften Exemplaren sind noch zwei Drittel unterwegs. Und im Unterschied zu anderen Autos verlieren sie kaum an Wert.

Der 911er ist ein Traumauto, und dass ich 40 Jahre warten musste, bis ich ihn einmal fahren durfte, ist Schuld der Beatles. Tante Jutta war keine richtige Tante, sondern eine entfernte Verwandte, sie kam aus Lüdenscheid. Wir Kinder nannten sie Tante, weil wir sie nur auf Familienfeiern trafen. Sie erschien dort stets im weißen Porsche 911, zwischen den Schlitzen der Kühlung prangte das Metall-Emblem des Porsche-Clubs. Tante Jutta hatte eine Zahnarztpraxis, sie wusste von meinem Faible, sie wusste, dass ich ein großes Porsche-Logo auf meine Zimmertür geklebt hatte. Meine Oma forderte zu Weihnachten immer, es solle abgehängt werden, weil man an Christi Geburt keine Automarke ansehen möchte. Tante Jutta unterstützte mich. Bei jedem Treffen gab sie mir fünf Mark für mein Sparschwein: "Damit du dir später einen Porsche kaufen kannst." Ich ahnte damals schon, dass die seltenen Begegnungen nicht hinreichen würden, um mir meinen Traum dereinst zu erfüllen. Außerdem kam ich in die Pubertät und entdeckte eine neue Leidenschaft. Als Tante Jutta mir bei einem weiteren Treffen wieder fünf Mark hinhielt und fragte, ob ich das Geld denn auch wie verabredet sparte, antwortete ich wahrheitsgemäß: "Ich habe mir eine Beatles-Platte davon gekauft." Sie zog die Hand zurück und sagte: "So war das nicht abgemacht."

Vielleicht kannte Tante Jutta das Porsche-Magazin "Christophorus" nicht, das bereits in den 50er Jahren mahnte, Porsche-Fahrer sollten höflich sein und wach, zudem geschmackvoll gekleidet. Die früheste Kundschaft hatte Porsche im Adel, "der Gotha fährt Porsche" hieß es. Ulf Poschardt schreibt von der "analogen Mechanisierung des herrschaftlichen Ausritts zu Pferde". Bald indes entdeckten auch andere Milieus den Reiz des Porsches: James Dean fuhr ihn, Martina Navratilova, Bill Gates, Keanu Reeves und Jil Sander. Und Andreas Baader stahl ihn, um damit zu flüchten — er kam nicht weit, es war seine letzte Tat in Freiheit.

Ich durfte jetzt also 911 fahren, das Jubiläum bot den Anlass. Das Zündschloss findet man noch immer links vom Lenkrad, das ist so, weil die Fahrer des 24-Stunden-Rennens in Le Mans zwischen 1925 und 1969 beim Start zu ihren Wagen sprinteten und ihn mit links einschalten konnten, während sie sich noch hinsetzen. Ich weiß so etwas, weil ich jeden Testbericht lese, und das tue ich auch, weil dort mit Sicherheit irre Formulierungen wie diese stehen: "Der Elfer brabbelt und faucht sich durchs Drehzahlband. Pro 100 Kilometer rauschen 20 Liter Sprit durch seine Benzinräume." Ich ließ ihn also an, 400 PS, 112 000 Euro. Der Wagen brüllte, aber nicht wild, sondern zufrieden, sicher und satt, und ich dachte an Udo Lindenberg, der sich einst von den Einkünften für "Alles klar auf der Andrea Doria" seinen ersten 911er kaufte und den großen Satz sprach: "Das Auge hört mit." Der "Spiegel" überschrieb einen Bericht über den 911 in den 60er Jahren übrigens mit einer Lautmarelei, und treffender kann man nicht zusammenfassen, was man da hört: "Jjjumm".

Man sitzt fast auf der Straße, man verschmilzt geradezu mit der Fahrerkabine, und es gibt kaum eine Chance, elegant aus dem Auto herauszukommen. Wer schnell fährt, wird begreifen, dass dieser Satz aus einem Fahrbericht lediglich Umschreibung für Schmerz ist: "Jede Bodenunebenheit massiert die Wirbelsäule des Fahrers." Und wer bei Tempo 210 noch mal fest aufs Gaspedal drückt, wird mit einem Fauchen belohnt, das einen nachvollziehen lässt, was Alice Cooper meinte, als er sang: "I bought a Porsche / And I'm leavin' Grand Rapids / Quit my job, quit my school, quit this place."

Was auffällt: Wenn man Freunden das Auto zeigt, benutzen sie keine Kraftausdrücke als Zeichen der Anerkennung. Ein Porsche ist nicht "geil", sondern: "schön", "sehr schön" oder "toll". Man erregt nicht Neid, sondern verdoppelt seine Freude. Der 911 ist kein unmoralischer Fetisch, sondern eine sozialverträgliche Form von Luxus. Dazu passt, dass Porsche-Fahrer ein wenig spleenig reden, als verfertigten sie beim Sprechen konkrete Poesie — sie verwenden Worte wie "Trockensumpfschmierung", "Bugschürze" und "Hydrostößel".

Der 911er ist nie im Kiez angekommen, er taucht in den Videos der prunksüchtigen Rapper kaum je auf, und vielleicht stimmt der Satz des Porsche-Fans Herbert von Karajan, dass man einen guten Fahrer an der Zahl der toten Insekten auf der Windschutzscheibe erkennt. Entscheidend ist nicht, wie schnell das Auto fährt, sondern wie es schnell fährt. Im Grunde muss man den 911 überhaupt nicht fahren, es genügt, ihn anzuschauen.

Nach zwei Tagen des Fahrens im vollverzinkten Traum schmerzte mein Rücken. Mit tat leid, dass ich innen sitzen musste und nicht draußen stehen und schauen konnte. Mein Sohn indes genoss das Gleiten durch die Großstadt, ich brachte ihn im Porsche zum Kindergarten, er zählte die Porsches, die wir unterwegs sahen, es waren 18, denn wir wohnen in Düsseldorf, und zum Abschied winkte nicht mehr nur er aus dem Fenster des Kindergartens, es winkten alle seine Freunde. Unter fünfjährigen Jungs sind die "Cars"-Filme das große Gesprächsthema, in dieser Animationsreihe können Autos sprechen, und das schönste von ihnen heißt Sally Carrera und ist ein Porsche 911. Mein Sohn sagte, dass er später auch so ein Auto haben wolle. "Aber nicht bloß geliehen." Mir fiel Tante Jutta ein.

In der TV-Serie "Ich heirate eine Familie" aus den 80er Jahren spielt Peter Weck einen Porschefahrer, der sich in eine Käferbesitzerin mit drei Kindern verliebt. Thekla Carola Wied spielt diese Mutter, und als größten Liebesbeweis des neuen Mannes wertet sie, dass er den Porsche schließlich abgibt und sich einen Passat zulegt. Ich weiß nicht genau, wie ich auf Peter Weck kam, aber als ich das Auto wieder zurückgab, wurde ich gefragt, ob ich nun traurig sei, ob die Schlüsselübergabe nicht weh tue. Ich rieb meinen Rücken, ich dachte an Peter Weck, an fünf Mark im Sparschwein, die Beatles, an deren Lieder "Yesterday" und "Tomorrow Never Knows".

Ich sagte: "Nein."

(RP)
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