Haldern Pop Der SC Freiburg der Festivals

Rees-Haldern · Haldern versucht sich in einer zur Industrie werdenden Konzertlandschaft zu behaupten. Anderswo gibt es mehr fürs Geld. Dennoch ist Haldern Pop wieder ausverkauft. Die Geschichte einer Messdienerfirma.

 Die Hauptbühne öffnet diesmal bereits am Donnerstag.

Die Hauptbühne öffnet diesmal bereits am Donnerstag.

Foto: Thomas Binn

Man will die alte Leier wirklich nicht mehr erzählen; die von den Ministranten aus dem kleinen Dorf Haldern, die irgendwann keine Lust mehr auf Rummtata-Musik hatten und sich ihr eigenes Festival auf einem Reitplatz erfanden, die Weltstars wie Bob Geldof, Patti Smith und Paul Weller an den Niederrhein holten und mit ihrem Musikfestival so zur Marke wurden, dass Haldern ein europaweit wichtiges Festival wurde.

Der Niederrheiner kennt die Geschichte dieser Messdienerfirma: Und doch hilft es, sich diese Gründerstory zu vergegenwärtigen. Noch immer nämlich wird in Haldern ein Festival wider alle wirtschaftliche Logik mit einem störrischen Geist organisiert: Im Glauben daran, dass man die Menschen musikalisch erziehen kann, dass man den Niederrheiner aus der Disco holen und auf eine matschige Wiese stellen kann, so dass er sich Rockmusik, Jazz, ja, sogar Klassik anhöre. Die Idee bleibt erfolgreich, und sie hat immer auch was von Bekehrung. Da bleiben eben Ministranten am Werk.

Von Travis bis Maximo Park

Man muss die Geschichte erwähnen, weil das Haldern-Pop-Festival seit einigen Jahren schon an einem Wendepunkt steht. Um es mathematisch auszudrücken: Der Peak ist erreicht. Die ganz großen Namen fehlen auch in diesem Jahr wieder auf dem Festivalplakat. Die Macher zehren noch immer vom Ruf, den ihre Veranstaltung vor zehn Jahren genoss, als Haldern Pop unter Musikern als das große Sprungbrett galt. Bands wie Travis, Mumford & Sons, Mando Diao, Franz Ferdinand und Maximo Park traten auf dem alten Reitplatz auf.

Vergleicht man diese Riege mit den Stars dieses Jahres - die britische Rapperin Kate Tempest, die amerikanischen Soulrocker Afghan Whigs, der österreichische Pop-Hype Bilderbuch und der deutsche Songwriter Clueso - dann mag man darin angesichts eines Eintrittspreises von 125 Euro eine Produktenttäuschung erkennen. Stefan Reichmann, so etwas wie der Spiritus Rector des Festivals, geht mit dieser Veränderung offensiv um. Dass ihn immer wieder auch Leute ansprechen, denen Haldern zu teuer und wahlweise zu indie oder zu mainstreamig, zu klein oder zu groß geworden ist, scheint ihn nicht zu stören. "Es können nicht 34 Jahre lang die gleichen Leute auf das gleiche Festival gehen." Er räumt ein, dass Festivals wie das niederländische Best Kept Secret - Headliner dieses Jahr: Radiohead und Arcade Fire - mittlerweile mehr für das Geld bieten. "Wir werden uns aber nie am Best Kept Secret orientieren", sagt Reichmann. Auch auf die Einführung von günstigeren Tagestickets werde man verzichten. "Die Leute sollen für ein ganzes Festival kommen."

Vom Wahnsinn begeistert

Man kann das Arroganz nennen. Man kann darin aber auch die Souveränität eines Festivalmachers entdecken, der sich von den Mechanismen der Musikindustrie nicht mehr irritieren lassen will. Im 34. Jahr des Bestehens war das Haldern Pop auch in diesem Jahr schon wieder so gut wie ausverkauft, bevor das Line-Up überhaupt feststand.

Diese Treue des Publikums ist etwas Besonderes in einer Zeit, in der die Festivallandschaft eine eigene Industrie geworden ist. Unternehmen wie FK Scorpio haben gleich mehrere Festivals im Portfolio und können einen Künstler dann für mehrere Auftritte buchen - so wird es im Paket günstiger.

Die Haldern-Pop-Macher reagieren im Kleinen auch auf diesen Trend. Sie haben in Südtirol das Kaltern-Pop-Festival gegründet. Dort treten Künstler auf, die auch im Haldern-Kontext zu sehen sind. Ein "Experimentierfeld" nennt Reichmann das italienische Festival, das in diesem Jahr vom 26. bis 28. Oktober läuft. Vom Niederrhein aus fahren Fanbusse runter, ganze Halderner Familien - Eltern mit Kindern - sitzen drin. Dass Haldern und Kaltern gemeinsame Sache machen, ist aber im Grunde mehr als nur Kalkül; es ist auch so ein Ministrantending: Die ersten Jugendfahrten der Halderner Gemeinde St. Georg führten nach Südtirol.

In der Bereitschaft, sich auf neue Stile einzulassen, ist das Publikum in Haldern ungeschlagen. Die Klassik hat das Festival für sich entdeckt: in diesem Jahr mit dem niederländischen Pianisten Joep Beving. Den HipHop hört man in Haldern: in diesem Jahr unter anderem bei Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi. Den Soul haben die Halderner beständig im Programm: 2017 mit The James Hunter Six. Neuerdings sind mehr Jazzkünstler zu hören. All die Artisten sieht man nicht nur auf der Hauptbühne - auch die Dorfkirche St. Georg wurde zum Festivalspielort mit freiem Eintritt, um das ganze Dorf für den Wahnsinn zu begeistern.

Reichmanns Wünsche für die Zukunft: "Einmal eine Oper auf die Bühne bringen, das fände ich super." Zuletzt sah er im Urlaub einen italienischen Schlagersänger, der das Publikum für sich einnahm. Warum solle so einer nicht mal in Haldern auftreten? Reichmann will auf Genreversessenheit verzichten. Dieses Ansinnen spiegelt sich im Programm: 68 Bands oder Soloartisten treten auf. Wieder sind einige darunter, denen man eine große Karriere zu prophezeien geneigt ist. Reichmann nennt Mavi Phoenix, ein Popsternchen aus Österreich, und die australische Band Parcels. Aber auch vom Briten Matt Maltese, der am Piano in der Dorfkirche auftritt, wird man manches erwarten können. Der britische Rapkünstler Loyle Carner zeigt sich auf seinem Debütalbum "Yesterday's gone" als ein großes Talent. Und die Songwriterin Aldous Harding betört auf ihrem Album "Party" mit wundervoller Folkmusik.

Ehrlichkeit muss sein

All diese unbekannten Künstler, mögliche Stars von morgen, rekrutieren die Festivalmacher bei unzähligen Live-Konzerten und durch Kontakte in die Branche. Ihre Verbindung zur Musiklandschaft intensivieren die Festivalmacher in Haldern auch, indem sie Akteure der Musikindustrie zum Haldern-Wochenende einladen. In diesem Jahr kommt Keith Harris, Manager der Soullegende Stevie Wonder, ins Dorf. Ein Netzwerktreffen ist auch das alljährliche Eurosonic-Festival in Groningen. Dort trifft sich alljährlich im Winter die Branche und alle versuchen, den neuen heißen Kram früh zu buchen. Reichmann sagt: "Groningen ist die Schnittstelle, wo die Bands teuer werden. Da muss man schnell sein." Zunehmend geht er dazu über, die Bands schon vorher zu verpflichten. Die hauseigene Haldern-Pop-Bar, in der ganzjährig Künstler auftreten, ist mittlerweile ein kleiner Talentschuppen. Hier spielen Bands auf der Durchreise zwischen den Konzerten in Köln und Amsterdam. Sie treten auf, und beweisen sich mitunter für das Festival.

In diesem Sinne ist das Haldern Pop vielleicht der SC Freiburg der deutschen Festivallandschaft. Ob das nun erst- oder zweitklassig ist, mag eine für den Insider spannende Bewertungskategorie sein. Die treuen Fans kommen ungeachtet der Klassenzugehörigkeit. Sie hoffen auf eine popmusikalische Entdeckung. Manchmal, so viel Festivalehrlichkeit muss sein, hoffen sie aber auch nur auf das nächste Bier. Da ist Haldern eben doch nicht anders als all die anderen Festivals dieses Sommers.

(RP)
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