Wittenberg Der Traum von der geeinten Menschheit

Wittenberg · Zum Abschluss des Evangelischen Kirchentags: 120.000 feiern Gottesdienst in der Sonne zu Wittenberg.

Jeder Kirchentag hat gemeinsame Erinnerungsorte, an die selbst die zurückdenken, die nicht dagewesen sind: Vom Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin und Wittenberg 2017 bleibt die Erinnerung an Barack Obama vor dem Brandenburger Tor. Aber auch der Festgottesdienst zum Abschluss auf den Elbwiesen in Wittenberg hat mindestens einen dieser Momente zu bieten: mit der Predigt des südafrikanischen Erzbischofs Thabo Makgoba aus Kapstadt. Er rief den Gottesdienstbesuchern in Anlehnung an Bürgerrechtler Martin Luther King zu: "Ich habe einen Traum für die Welt, dass eines Tages all die narzisstischen, nationalistischen, isolationistischen Ausschweifungen der Gegenwart verschwinden mögen. Ich habe einen Traum, dass stattdessen ein weltweites Bewusstsein entstehen wird, dass wir eine Menschheit sind." Makgoba ist ein Theologe, der sich in Südafrika immer wieder in die Politik einmischt und für Frieden und gegen Unterdrückung und Diskriminierung kämpft.

120.000 Menschen feierten bei 30 Grad und praller Sonne auf der Festwiese. Zwar lagen die Erwartungen des Veranstalters bei bis zu 200.000, doch dürfte der Festgottesdienst vor der Kulisse der historischen Wittenberger Altstadt der größte Gottesdienst des Jubiläumsjahres gewesen sein. Unter den Besuchern waren auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er ist selbst begeisterter Kirchentagsbesucher und war ursprünglich als Präsident für den Kirchentag in Dortmund 2019 vorgesehen. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm sagte im Gottesdienst, er wünsche sich, dass von Wittenberg über 2017 hinaus eine neue Generation entstehe, die aus dem Reformationsjubiläumsjahr einen Neuaufbruch zum Glauben mitnehme. Es wird sich zeigen müssen, ob das Jubiläum wirklich diese spirituelle Kraft entfaltet. Denn auch der Kirchentag hat wieder gezeigt, dass die streitbaren Themen andere waren. Die Migrationswelle, soziale Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft und die Frage, wie Frieden werden kann in der Welt, waren Diskussionsstoff.

Mit der Frage nach Luther und der heutigen Bedeutung der Reformation hat sich der Kirchentag nur am Rande - im kulturellen Rahmenprogramm - beschäftigt. Luther ist in der Erinnerung der Deutschen mehr eine historische Figur, ein Rebell, ein "Wutbürger", der sich mit der Obrigkeit anlegte und heute weniger ein neuer Stifter religiöser Identität.

Die Spitzen der Kirchen werden nicht müde, im Reformationsjahr die Ökumene zu betonen - und sicher hat sich in der Luther-Dekade mehr in Sachen Ökumene getan als in den 50 Jahren davor. Aber was heißt das für den Protestantismus? Der Kirchentag in Berlin und Wittenberg hat gezeigt, dass es immer noch Menschen gibt, die sich aus dem Glauben heraus für die Gesellschaft einsetzen und politisch handeln. Doch für diesen Beleg - auch das machte der Kirchentag deutlich - braucht es nicht die große Klammer des Reformationsjubiläums.

(heif)
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