Der Verfall Jugoslawiens lag auch an Tito

Minutiös listet der führende Balkan-Historiker Joze Pirjevec die Fehler des kommunistischen Diktators auf.

Der slowenische Historiker Joze Pirjevec, Jahrgang 1940, hat eine Biografie Titos geschrieben, ohne Anhang 586 Seiten stark. Laut Klappentext ist sie das Ergebnis 30-jähriger Forschungsarbeit. Das ist erkennbar, macht das Buch aber für Leser, die nicht für Jahrzehnte jugoslawische Zeitzeugen sein konnten, durch die aufgezeigte Personenvielfalt etwas verwirrend. Dabei bezieht es sich auf zahlreiche Persönlichkeiten, die Tito beobachtet haben. Bei den jugoslawischen Quellen spielen Betroffenheitsemotionen hinein, bei "westlichen" Diplomaten ironisch-tagesaktuelle Besserwisserei. Unbeschadet dessen ist das Buch lesenswert - um etwas über die Rolle einer Persönlichkeit für historische Entwicklungen zu erfahren, für das Verständnis der staatsterroristischen Implikationen des von Stalin geprägten Kommunismus, für die Einsicht in die Gründe der Implosion Jugoslawiens.

Tito war 35 Jahre autoritärer Präsident Jugoslawiens, damit herrschte er vier Jahre länger als Stalin. Rücksichtslos gelangte er an die Spitze der Kommunistischen Partei, nutzte Personenkult als Machtinstrument ebenso wie seine Neigung zu Prunk und Luxus. Das aber setzte Charisma voraus. So leitet Pirjevec das Buch mit einführenden Worten zu "Titos Augen" ein. Was zunächst boulevardesk erscheint, wird nach Lektüre des Buches zur Erklärung des unerklärbar Bleibenden.

Titos Bruch mit Stalin 1948 hat auch mit diesem Selbstbezug Titos zu tun. Es ist getragen von der Tatsache, dass sein Land durch ihn, seine Partisanenarmee, vom Faschismus befreit wurde, nicht von der Roten Armee. Weltgeschichtlich bedeutsam bleibt dieser Bruch, weil er zeigt, dass Staaten ausreichender Größe sich aus der Dominanz der Weltmächte lösen können. Dass sie dazu die nationale Karte spielen müssen, zeigt ein Dilemma, das nach Titos Tod zur Katastrophe führte. Er stritt für ein integriertes Jugoslawien. Nur so waren das Land und er stark genug für eine unabhängige Rolle. Tito spielte sie als einer der Anführer der Blockfreiheit, ständig in Furcht, die Sowjetunion könnte doch militärisch in Jugoslawien intervenieren, während er zugleich die Politik der Westmächte als imperial interpretierte.

Der Bruch mit Stalin war nicht der Bruch mit dem sowjetisch geprägten Kommunismus. Die ihm immanente Vernichtungsstrategie gegen politische Gegner hatte Tito gegen kroatische Ustascha und serbische Tschetniks praktiziert, er praktizierte sie wieder gegen die Anhänger Stalins. Die Unterdrückung war auch der Grund, der Titos sozialistische Alternative zum Sowjetkommunismus scheitern ließ. Der fast absolute Anspruch auf Führung durch die Kommunistische Partei - und ihres Vorsitzenden auf Lebenszeit Tito - beendeten alle Initiativen, in Jugoslawien den Sozialismus mit "menschlichem Antlitz" nachhaltig Wirklichkeit werden zu lassen.

Die Folgen waren zunächst ökonomischer Zusammenbruch und dann nationalistischer Krieg. Technologisch-ökonomische Entwicklungen erforderten ausgebildete Experten, die aber gefährdeten in den selbstverwalteten Betrieben die führende Rolle der Arbeiter, so wurden sie ideologisch bekämpft und die Betriebe unproduktiv. Die propagierte Selbstverwaltung der acht Republiken und autonomen Provinzen führte zu Konflikten zwischen ihnen. Die wirtschaftsstärkeren Teile Slowenien und Kroatien fühlten sich von den Schwächeren, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien, ausgebeutet. Alle fühlten sich von Serbien bevormundet, das die Armee dominierte.

So half es wenig, dass Titos Herrschaft menschlicher wurde, dass die Jugoslawen viele Freiheiten hatten, nur nicht die Meinungsfreiheit. Es entwickelte sich keine plurale und ökonomisch effiziente Demokratie, sondern gewalttätiger nationalistischer Staatsverfall. Das Charisma endete mit seinem Träger.

(RP)
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