Der volle Planet

Der Mensch tritt aus der Evolution heraus und begründet ein neues Zeitalter.

Ernst Ulrich von Weizsäcker und Anders Wijkman sind derzeit Ko-Präsidenten des Clubs of Rome. Zu dessen 50-jährigem Bestehen haben sie einen "großen Bericht" veröffentlicht, verfasst mit einer Vielzahl von weiteren Autoren, überwiegend Mitglieder des Clubs. Ein Bezug ist selbstverständlich der erste Bericht an den Club "Die Grenzen des Wachstums" aus dem Jahr 1972. Der andere Bezug ist der bisher einzige Bericht des Clubs selbst, "Die erste globale Revolution". Er ging davon aus, dass das Ende des Kalten Krieges riesige neue Chancen für eine friedliche und prosperierende Welt eröffnen würde.

Diese Hoffnung sehen die Autoren enttäuscht. Die Welt ist wieder in einer kritischen Lage, und deshalb brauchen "wir einen Neuanfang". Unterschiedliche Krisentypen verbunden mit einem Gefühl der Hilflosigkeit sind die Ursachen. Zentral sind die Undurchsichtigkeit der Finanzmärkte und die Klima-Herausforderung. Gegen Verwirrung hilft Aufklärung. Die steht heute vor einer veränderten Welt, begründet durch den Anstieg der Weltbevölkerung von weniger als einer Milliarde Menschen (17. Jahrhundert) in einer "leeren Welt" zu heute über sieben Milliarden in einer "vollen Welt". So ist die jetzige Ära der Evolution als Anthropozän zu bezeichnen, messbar durch das Körpergewicht der Menschen und ihrer Nutztiere. Es macht 97 Prozent des Gewichts aller lebenden Wirbeltiere auf der Erde aus. Die hohe Weltbevölkerung beruht nicht nur auf zu hohen Geburtenzahlen, sondern mehr auf der zunehmenden Lebenserwartung. Daher trifft die Notwendigkeit, die Geburtenzahlen zu reduzieren, noch für Afrika zu, nicht aber für die Mehrheit der Welt.

Nach diesen Krisenanalysen im ersten Teil sucht der zweite den Weg zu einer neuen Aufklärung. Zu ihr gehören eine spirituelle Dimension und ein moralischer Standpunkt. Das finden die Autoren herausgehoben in der Enzyklika "Laudato Si" von Papst Franziskus, Entsprechungen zeigen sie mit Veröffentlichungen des Ökumenischen Rates der Kirchen wie in Erklärungen islamischer Institutionen. Materiell müsse sich die neue Aufklärung auf ökonomische Zusammenhänge konzentrieren, denn die reine Marktlehre ist aufgrund der philosophischen Fehler des Marktdogmas gescheitert. Dabei ist die kapitalistische Entwicklung bestimmt von der technologischen Revolution, die jedoch zu Technologiemissbrauch führen kann. Die Autoren geben zu, dass sie, wie das Volk, wie die Entscheidungsträger ziemlich ahnungslos sind im Hinblick darauf, was auf uns zukommt. Das gilt besonders für die künstliche Intelligenz: "Unsere Fähigkeit, die beiden zentralen biologischen und computertechnischen Informationsträger, Gene und Bytes, zu manipulieren, läuft fast zwangsläufig auf das Entstehen von Superwesen hinaus, die schließlich die Welt beherrschen."

Der dritte Teil, eine spannende Reise zur Nachhaltigkeit, ist optimistisch. Er stellt Erfolgsgeschichten vor wie dezentralisierte Energie, nachhaltige Agrarpolitik, zirkuläre Ressourcenströme, regenerative Urbanisierung, Kreislaufwirtschaft. Ihren Optimismus beziehen die Autoren auf die Zivilgesellschaft, allerdings politisch reflektiert. Beide Wissenschaftler waren auch Parlamentarier. Sie wissen, dass die Notwendigkeit einer öffentlichen Debatte nicht mit Ansprüchen auf direkte Entscheidungen verwechselt werden darf, denn dann stellt sich die Legitimationsfrage.

(RP)
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