ZDF porträtiert die Wagner-Familie Iris Berben als Tarantel von Bayreuth

Bayreuth · Das ZDF porträtiert am Sonntag die Familie Wagner nach Art einer halbdokumentarischen Familiensaga. Der Film von Christian Balthasar arbeitet mit hervorragenden Schauspielern. Der Geist einer seltsamen Sippe ist perfekt getroffen.

Am Ende stehen die Enkel stramm und üben einen Gruß mit ausgestrecktem Arm, ein Frauenherz schlägt höher, und draußen knarren rohe Männerstimmen: Ein Mann macht seine Aufwartung, der in Bayreuth sehnlich vermisst wurde, sie nennen ihn "Onkel Wolf". Der Mann hat kein Gesicht und keinen bürgerlichen Namen, aber alle kennen ihn, die diesen Film sehen, denn alle wissen, dass die Geschichte dieses Films auch auf Adolf Hitler zulaufen wird, weil er der Fluchtpunkt in der Entwicklung einer Familie ist, in welcher der Rassismus eine prächtige Tradition besitzt. Die Wagners sind seit Richards Aufsätzen streng antisemitisch, das eint sie in ihren Verwerfungen, die sie miteinander austragen.

Wie grausam und schaurig das Erbe Richard Wagners nach seinem Tod in Bayreuth gepflegt wurde, als seine Witwe Cosima die dortigen Festspiele führte, zeigt nun das ZDF mit Christian Balthasars Film "Der Wagner-Clan — eine Familiengeschichte", der sich auch strengen Betrachtern als Meilenstein in der Filmografie um den Wagner-Clan erweist. Im Sujet der halbdokumentarischen Familiensaga gibt es filmisch nur wenig, das der Natternbrut der Wagners auch nur näherungsweise gerecht wird. Umso gewaltiger wirkt das neue Opus: Die Schauspieler sind fabelhaft, der Geist des Ortes und des auf ihm ruhenden Fluchcharakters ist phänomenal getroffen, und selbst wenn Historiker über kleine Schlangenlinien bei den Fakten zuweilen mit den Augenbrauen runzeln, so mindert das gar nichts: Bei den Wagners ist es legitim, manche Details im Sinne einer höheren Dramaturgie kreativ zu erfinden.

Wir tauchen ein in teils aberwitzige, teils urkomische Konflikte, die ein von Cosima tyrannisch verhinderter Erbfolgekrieg mit sich bringt. Eigentlich wollen alle Wagners — vor allem die Kinder Isolde, Siegfried und Eva — ihre Ruhe, wollen glücklich sein und ihre Neigungen ausleben, aber das Matriarchat Cosimas ist wie ein Schatten, der sozusagen noch nachts auf ihnen lastet. Diese Cosima spielt Iris Berben, und schon nach wenigen Sekunden ahnt man, dass sie vermutlich die Idealbesetzung ist: Um ihre Lippen spielen Liebe und Härte, in ihrer Stimme ist die eisige Herrschsucht einer Gralshüterin, ist die Arroganz einer Pseudo-Intellektuellen, ist die verhärmte Wut einer Frau, die von ihrem Mann zeitlebens betrogen und als Sekretärin ausgenutzt wurde — und sich zugleich liebend gern ausnutzen ließ.

Um sie herum ein Nest und Gezücht aus Individualisten, Abtrünnigen und Speichelleckern: zunächst Sohn Siegfried (Lars Eidinger), der sich nur ungern als ein von der Erblast gedrückter Musiker sieht und lieber auf den Fidschi-Inseln urlauben will (und zwar mit einem Partner seiner Wahl); dass er ausgerechnet die Engländerin Winifred heiratete und den Bestand der Bayreuther Sippe sicherte, war sein genealogisch wichtigstes Verdienst. Sodann Isolde (Petra Schmidt-Schaller), die zarte, spitze, züngelnde Erstgeborene, die gegen Mutters Willen den Dirigenten Franz Beidler (Felix Klare) heiratete. Schließlich der aalglatte britische Schriftsteller Houston Stewart Chamberlain, der als schneidig-glatter Anwalt eines deutschnationalen Antisemitismus zu den Schmarotzerfischen im Bayreuther Haifischbecken zählte und später Cosimas unbedarfte Tochter Eva ehelichte.

Man fühlt sich von dieser Dynastie, die im Film gern zu Richard Wagner zurück- und zu Adolf Hitler vorblendet, in jedem Moment abgestoßen und hinreißend unterhalten. Diese enorm telegenen Wagners um Iris Berben wissen ja selbst, dass sie Sonderlinge sind, aus der Art Geschlagene, stramme Herrenmenschen und katastrophale Mimosen — und wenn dazu die Musik Wagners aus dem Off jubelt, weint, marschiert oder raunt, ist die Vermählung von Musik, Drama und Leben perfekt gelungen. Sie suggeriert, dass die Welt sich einzig in Bayreuth abspielt — der Grüne Hügel als ihre Metropole.

Und weil der große Richard auch postum in jeder Sekunde anwesend ist, darf sich der Fachmann einmal wundern: wenn Sohn Siegfried ans Klavier schreitet und einige Takte aus "Isoldes Liebestod" spielt (toller Regietrick, da Hausfreund Chamberlain soeben Siegfrieds Schwester Isolde abzuschleppen gedenkt). Doch leider zeigt uns das Bild die Hände des Pianisten seitenverkehrt. Aber auch diese unfreiwillige Täuschung passt herrlich zu diesen Wagners und ihrem frappierenden und folgenreichen Realitätsverlust.

(RP)
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