Der Weg in den Holocaust

Zwei neue, schlanke Bücher beschäftigen sich mit dem NS-Regime. Ulrich Herbert komprimiert meisterhaft den aktuellen Wissensstand, Peter Longerich legt eine fesselnde Untersuchung der Wannsee-Konferenz vor.

Der Krieg war der Kern des Nationalsozialismus. Lebensraumpolitik, Judenmord, am Ende die versuchte Vernichtung des eigenen Volkes - im Krieg enthüllte sich vollends das Wesen des "Dritten Reichs". Zwei spannende neue Bücher zur NS-Zeit, die inzwischen in zweiter und dritter Auflage vorliegen, zeigen, was das konkret heißen kann. Das eine, aus der Feder des Freiburger Historikers Ulrich Herbert, versucht einen Abriss der Nazi-Herrschaft auf nur 125 Textseiten, von denen er die Hälfte der Kriegszeit widmet.

Das andere Buch, ebenfalls nur gut 160 Textseiten stark, ist eine Untersuchung des Münchner Historikers Peter Longerich über Vorgeschichte, Ablauf und Wirkung der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942. Longerich interessiert vor allem, wann das NS-Regime die Entscheidung zur Ermordung aller Juden in Europa traf.

Beide Darstellungen sind bewundernswert gelungen. Herberts Buch, Teil der Beck-Reihe "Wissen", gelingt das Kunststück, Ereignis- und Strukturgeschichte maximal zu komprimieren, ohne dabei in reine Nacherzählung zu verfallen - stellenweise erinnert das an Sebastian Haffners knappe, aber gewichtige "Anmerkungen zu Hitler" (die, wie man erstaunt feststellt, für ihre 40 Jahre noch ziemlich aktuell sind).

Wie folgerichtig der Krieg war, fasst Herbert ganz am Ende zusammen: Die Umstellung von Friedens-wirtschaft auf Kriegsvorbereitung habe die Konjunktur zwar beflügelt, zugleich aber die Ressourcen so überdehnt, dass der "Eroberungskrieg von einer Option zur Notwendigkeit" geworden sei. Der Krieg habe die Gesellschaft dann regelrecht umgepflügt: soziale, politische, teils auch regionale Zugehörigkeiten hätten an Bedeutung verloren, stattdessen seien "Schicksalsgemeinschaften" entstanden.

Der Hitler-Mythos funktionierte in alledem noch 1944 - dass das Attentat vom 20. Juli scheiterte, löste weithin Erleichterung aus. Für Mitgefühl mit den Juden war spätestens unter den Belastungen des Krieges kein Platz mehr. Hinweise auf den Massenmord gab es zwar, aber "um die Einzelinformationen zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen, bedurfte es eines besonderen Interesses". Wer das hatte, der konnte allerdings, so Herbert, seit 1942 nicht nur das Schicksal, sondern sogar die Zahlen der Opfer erahnen.

Für Herberts Kollegen Longerich ist der Judenmord die "Klammer der deutschen Kriegs-, Besatzungs- und Bündnispolitik": ein unauflösliches Band der Komplizenschaft, zugleich der Abbruch aller Brücken - mit dem Holocaust gab es kein Zurück mehr zu einem "normalen" Krieg alter Prägung. Longerichs eigentliches Interesse aber gilt der Entscheidung der NS-Spitze für den Massenmord an den Juden in ganz Europa. Die fiel nach seiner These nicht im Herbst 1941, wie häufig (auch bei Herbert) zu lesen ist, sondern erst im Mai/Juni 1942.

Die Wannsee-Konferenz mit ihrer peniblen, nach Staaten gegliederten Erfassung der zu Ermordenden war nach Longerich deshalb nicht das Ergebnis einer neuen Politik, sondern der Versuch, zwei konkurrierende Strategien unter einen Hut zu bekommen: die "große Lösung" von Reinhard Heydrich, dem Chef des Reichssicherheitshauptamts, der die Juden nach dem Krieg in die besetzten sowjetischen Gebiete deportieren und dort zugrunde gehen lassen wollte, und die noch radikalere Strategie von SS-Chef Heinrich Himmler, der schon 1941 die örtlichen Stellen zu Massenmorden anhielt. Für Himmler war die "Endlösung" nicht Ziel, sondern Mittel eines totalen Vernichtungskriegs. Diese Deutung setzte sich letztlich durch - stets in enger Abstimmung mit Hitler und mit dessen Billigung, wie Longerich mehrmals betont.

All das ist plausibel begründet. Es ist entsetzlich zu lesen; gerade die bürokratische Amoralität, mit der die Massenmörder ihr Werk verrichteten, lässt heute noch erschaudern. Es ist aber auch fesselnd geschrieben - und das ist kein kleines Lob für ein wissenschaftliches Werk über ein so grauenvolles Thema.

(fvo)
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