Paris Der wütende Philosoph - André Glucksmann ist tot

Paris · Selbst seine Pariser Wohnung mit ihren knarrenden Dielen und den abgegriffenen Büchern, die jeden verfügbaren Winkel ausfüllten, war ein Statement. André Glucksmann residierte nicht im selbstverliebten Rive-Gauche-Milieu der Intellektuellen und Künstler, sondern auf der anderen Seite der Seine, im bescheidenen 10. Arrondissement. Hier starb einer der wichtigsten, aber auch umstrittensten Philosophen Frankreich in der Nacht zum Dienstag im Alter von 78 Jahren.

Die Franzosen und bald auch die Welt lernten den Mann mit der unverwechselbaren, zuletzt grauen Mähne Mitte der 70er Jahre kennen. Im Mai 1968 war Glucksmann noch mit Jean-Paul Sartre auf die Straße gegangen, hatte als überzeugter Kommunist und glühender Bewunderer Mao Tsetungs die proletarische Weltrevolution herbeigesehnt. Doch nun bekannte er öffentlich seinen Irrtum und warnte vor dem roten Totalitarismus. Alexander Solschenizyns "Archipel Gulag" habe ihm die Augen geöffnet, gestand er.

Künftig trat Glucksmann als einer der Wortführer der "Neuen Philosophen" auf, die mit dem Kommunismus gebrochen hatten. Doch nur wenige taten das so radikal wie er. Der Kampf gegen die Despotie und für die Menschlichkeit bildete von nun an den Kern seiner philosophischen Abhandlungen - die meist zu wütenden Abrechnungen gerieten.

Glucksmann, der 1937 in Frankreich als Kind osteuropäischer Juden zur Welt kam, ließ keine Entschuldigungen für Tatenlosigkeit gelten. Immer wieder prangerte er Europas Politik der Nichteinmischung an, er befürwortete das Eingreifen in Afghanistan, im Irak, in Libyen und rechnete hart mit den deutschen Pazifisten ab. Stets warnte er vor Naivität, auch beim Thema Terror. "Wir müssen begreifen, dass dieser Krieg nicht allein mit Debatten zu gewinnen ist", sagte er 2006 im Interview mit unserer Redaktion.

(RP)
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