DiCaprio triumphiert als "großer Gatsby"

Beharrlich hat sich der Schauspieler seit "Titanic" in die erste Riege der Charakterdarsteller Hollywoods gespielt. Das besiegelt er nun mit seinem Auftritt als Emporkömmling und verwundbarer Liebhaber in "Der große Gatsby".

Beinah hätte dieser Luxusdampfer auch seinen Untergang bedeutet: 1997 heuerte Leonardo DiCaprio als Hauptdarsteller bei James Cameron an, gewann auf der "Titanic" seine große Liebe und ging so effektvoll für sie unter, dass sein Name lange nicht ohne diesen Film zu denken war. "Titanic" gehört bis heute zu den erfolgreichsten Werken der Filmgeschichte, doch ließ der Film seinem Hauptdarsteller kaum noch Spielraum, um sich weiter verwandeln, Projektionsfläche für die Fantasie der Zuschauer sein zu können. DiCaprio war fortan dieser kindsköpfige Schiffsjunge, dessen Liebe sich von keinen Klassengrenzen aufhalten ließ. Und vom drohenden Tod auch nicht. Es braucht Jahre, um sich von einer solchen Rolle zu erholen.

Leonardo DiCaprio hat es geschafft. Ein anderer großer Hollywood-Regisseur wurde sein Retter: Martin Scorsese. Obwohl DiCaprio für seinen Post-"Titanic"-Auftritt in "The Beach" gerade die Goldene Himbeere, Hollywoods Schmähpreis für den schlechtesten Schauspieler, bekommen hatte, gab ihm Scorsese 2002 eine der Hauptrollen in "Gangs of New York". Und auf einmal spielte da wieder der alte DiCaprio auf, dieser ehrlich wütende, aufrichtig romantische, sehr gegenwärtige Schauspieler mit dem sturen Schädel. Und er konnte es mit Daniel Day-Lewis aufnehmen, diesem arroganten Meister der Anverwandlung. DiCaprio spielt bodenständiger, nicht so raffiniert, aber leidenschaftlich, körperlich, risikobereit.

Von nun an arbeitete er sich vor ins Charakterfach. Erst als Scheckfälscher Abagnale in "Catch Me If You Can". Dann wieder für Scorsese als Flugpionier Howard Hughes in "Aviator", als verdeckter Ermittler in "Departed – Unter Feinden" und als im Wahn gefangener Ex-Soldat in "Shutter Island". Markante Auftritte waren das allesamt; und das unbedingte Vertrauen, das Scorsese in DiCaprio setzte, half ihm ebenfalls, zu einem der gefragtesten Schauspieler Hollywoods aufzusteigen. Zu einem der bestbezahlten dazu. Gagen um die 80 Millionen US-Dollar soll er inzwischen bekommen. Mehr als andere Großverdiener wie Johnny Depp.

Doch spielte DiCaprio nicht nur in üppigen Historienfilmen und packenden Thrillern. Mit "Blood Diamond" etwa, ein packendes Drama über den Konflikt um sogenannte Blutdiamanten während des Bürgerkriegs in Sierra Leone 1999, engagierte er sich in einem politischen Thriller. Und 2008 hatte er sich so weit von "Titanic" befreit, dass er sich wieder an die Seite seiner damaligen Filmpartnerin Kate Winslet wagte. In Sam Mendes' Ehedrama "Zeiten des Aufruhrs" spielte er einen frustrierten Ehemann. Eine psychologische Rolle und auch sie füllte er mit einigem Einfühlungsvermögen aus. Clint Eastwood machte ihn daraufhin zu FBI-Gründer J. Edgar Hoover, für Quentin Tarantino gab er in "Django Unchained" einen sadistischen Plantagenbesitzer. Und so genialisch maliziös Christoph Waltz auch seinen schlauen Widersacher gab, DiCaprio spielte er nicht in seinen Schatten. Dafür gab der einfach zu brillant den brutalen Südstaatler, großspurig, unberechenbar, innerlich kochend.

Und nun Gatsby. Der filigranere Robert Redford hat ihn vor ihm gespielt, diesen Aufsteiger und Romantiker, der den Ersten Weltkrieg noch in der Seele hat und darum um ein Mädchen wirbt, das er früher liebte. Gatsby ist der Held, der die Zeit zurückdrehen will und daran tragisch scheitert. Redford spielte diese Figur als melancholischen Gentleman, edel, geheimnisvoll, ein wenig distanziert. DiCaprio dagegen ist vitaler, kennt auch die dunklen, zornigen Seiten in sich, die ihn ökonomisch haben aufsteigen lassen. Wenn so einer alles hingeben will für eine Frau, die er für ein reines, schutzbedürftiges Wesen hält, dann hat das Fallhöhe. Dann spürt man das Märchenhafte der schmalen und doch großen Erzählung von F. Scott Fitzgerald, die Baz Luhrmann mit DiCaprio verfilmt hat.

Die beiden haben 1996 schon einmal miteinander gearbeitet. Damals machte Luhrmann den jungen Schauspieler zu seinem Romeo und warf eine Shakespeare-Fassung auf die Leinwand, die den unverwüstlichen Stoff tatsächlich in die Gegenwart katapultierte. Das lag auch an DiCaprio, der sich vor der Kamera so wahrhaftig verlieben kann. Das große Gefühl glaubt man ihm auch als Gatsby – es ist der anrührende Kern, das stille Auge in Luhrmanns tosendem Bilderorkan.

(RP)
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