Düsseldorf Die Berliner lieben es böhmisch

Düsseldorf · Liebhaber von Flusskreuzfahrten kennen die Erzählung, dass die angeblich reizende Moldau früher tückische Stromschnellen in ihrem Bette barg, denen manches Schifflein zum Opfer fiel. Heutzutage erinnern nur noch vergilbte Tafeln und natürlich Smetanas unversiegliche "Moldau" an gefahrvolle Zeiten. Bei dieser Musik wird einem aber klar, warum das tschechische Wort für Moldau "Vltava" ist: Das heißt "wildes, reißendes Gewässer".

Könnte sein, dass Yannick Nézet-Séguin diese volkskundlichen Feinheiten kennt. Der Kanadier wird wegen seiner offenkundigen Musikalität zu den bedeutenden Dirigenten von heute gezählt; er gilt aber auch als gebildeter Musiker, in dessen Bücherschrank nicht nur Partituren stehen. Jetzt hat er uns beim Gastkonzert der Berliner Philharmoniker in der Düsseldorfer Tonhalle gezeigt, was die Moldau auch ist - nämlich ein Satan, der H2O speit. Selten hat man die Stromschnellen-Szene so opulent und vital gehört, wie überhaupt das famose Orchester sich nicht lumpen ließ und uns Hörern wahre Wonnebäder eingoss. Das hier war kein Rinnsal, sondern ein stolzer Strom, der in Nézet-Séguins Lesart auch im Trockenen der Tonhalle eindeutig Hochwasser führte.

Ein rein böhmisches Programm sorgte für einen entspannten, wunderbaren, im besten Sinne romantischen Abend. Mancher freute sich, dass er mal Dvořáks E-Dur-Streicherserenade und vor allem die selten gespielte 6. Sinfonie hören konnte, dem zwar die Ohrwürmer fehlen, aber nicht das Brio, das Schmissige, das Liebliche.

Und dann war es schön, Nézet-Séguin wieder zu erleben. 2020 wird er Chef der Met in New York, und dass er früher selbst Sänger war, merkt man an seinem entspannten, liebenswerten, herzlichen Dirigierstil - bei ihm ist das Podium des Maestros eine garantiert tyrannenfreie Zone. Seine Linke kratzte nicht, fuchtelte nicht, sondern warb. Sie lud ein: Lasst uns Musik machen! Die Philharmoniker dankten ihm dieses Prinzip aus Intensität und Freiheit mit außerordentlicher Hingabe. Man hört es eben doch, wenn ein Dirigent am Pult steht, den die Musiker von Herzen mögen.

Diesen Abend und viele Details wird man noch lange vor sich hinsummen. Allein wie die grandiosen Flötisten Mathieu Dufour und Jelka Weber die "Moldau-Quellen" spielten! Diese beiden hätte man sich am liebsten einpacken lassen und mit nach Hause genommen.

(w.g.)
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