Die besten Bücher für das Frühjahr

Leipzig · Die frische Literatur-Ware ist eingetroffen. Jetzt beginnt die Qual der Wahl. Um die Entscheidung zu erleichtern, empfehlen wir einige Lesefrüchte.

Keine Ahnung, wer all diese Bücher gezählt hat. Jedenfalls sollen uns hierzulande jedes Jahr über 70 000 Neuerscheinungen vorgesetzt werden. Wer also nur ein Prozent unserer literarischen Jahresproduktion konsumieren möchte, muss 700 Bücher lesen. Kurz und gut, in diesem Urwald kann es nur darum gehen, ein paar Schneisen zu schlagen. Und das ist auch nur dann gerechtfertigt, wenn dies mit Leidenschaft geschieht.

Wer Bücher empfiehlt, macht sich angreifbar. Weil nicht jeder am Ende eines Buches das Gleiche empfindet. Das liegt in der Natur jeder guten Literatur. Die Geschichten, die uns von den Autoren erzählt werden, können immer nur so gut sein wie ihre Leser und immer nur so farbenfroh, wie deren Phantasie es zulässt. Die dreizehn Buchempfehlungen auf dieser Seite atmen darum den Geist von Einladungen und Angeboten.

Denn Buchtipps sind keine Börsen- und Fußballtabellen, die Ergebnisse mit ihrem Zahlenwerk so abbilden wie sie sind. Buchtipps wie diese sind Abenteuerreisen, und die sind besonders dann aufregend, wenn man sich darauf einlässt. Erst das gelesene Buch beginnt zu leben; erst der Leser erweckt seine Sprache und seine Geschichten. Darin liegt die Lust an der Empfehlung und unsere Einladung zur Lektüre.

Martin Mosebach: "Das Blutbuchenfest"

Das vielleicht zauberhafteste deutschsprachige Buch in diesem Frühjahr, hätte der Autor darin nur nicht allzu oft von einem Handy geschrieben, das es zu dieser Zeit noch nicht geben könnte. Trotzdem bleibt es dabei, dass der Büchner-Preisträger auch mit diesem Buch zu den großen Stilisten und humorvollen deutschen Erzählern gehört.

Ingrid Noll: "Hab und Gier"

Es ist ein Angebot, das das Böse im Menschen weckt: Ein Mann bietet einer Frau sein halbes Vermögen an, wenn sie sich bis zu seinem Tod um ihn kümmert — und sein ganzes, wenn sie diesen Tod selbst herbeiführt. Mit weisem Humor erzählt Ingrid Noll diese Geschichte aus Sicht jener Frau, die auf das unmoralische Angebot reagieren muss.

Margaret Atwood: "Die Geschichte von Zeb"

Im letzten Teil ihrer Katastrophen-Trilogie erzählt Atwood aus einer Welt, in der nur noch wenige Menschen leben und sich mit ein paar harmlosen Kunstgeschöpfen in eine Enklave geflüchtet haben. Die Außenwelt ist feindlich, die Lage aussichtslos, ihren Humor aber hat Atwood nicht verloren — er leuchtet auch in diesem düsteren Finale.

Martin Suter: "Allmen und die verschwundene Maria"

Mit dem kunstverliebten Snob Allmen und dessen Haushälter Carlos hat Martin Suter ein eigenwilliges, moralisch nicht ganz einwandfreies Duo geschaffen, das bereits allerhand Kriminalfälle bestanden hat. Nun geht es um ein Gemälde und um eine Frau, die Allmen beide kostbar sind — und anderen Gaunern auch.

Daniel Tammet: "Die Poesie der Primzahlen"

Nennen wir Daniel Tammet einfachheitshalber einen Hochbegabten mit Endlosgedächtnis. In Kombination mit beachtlicher Sprachkraft hat der Autor so in 24 Beiträgen einmal aufgeschrieben, was ihm zu Zahlen und zur Literatur, zu Schach und Schneeflocken so in den Sinn kommt. Das ist sehr viel und sehr lesenswert.

Roger Willemsen: "Das Hohe Haus. Ein Jahr im Parlament"

Willemsen meint es stets ernst mit seinen Themen. Diesmal mit der Rolle des mündigen Bürgers, und so hat er sich ein Jahr in den Bundestag gesetzt — von der ersten Sitzungswoche bis zur letzten. In seinem Buch erzählt er von allem, was sonst durch die Wahrnehmungsraster fällt, von persönlichen Erlebnissen und dem Ringen in der Politik.

Katja Petrowskaja: "Vielleicht Esther"

Eine Ich-Erzählerin reist nach Warschau. Von dort folgt sie der Geschichte ihrer jüdischen Familie und landet an historischen Plätzen des 20. Jahrhunderts — in der Schlucht Babi Jar bei Kiew etwa oder im Konzentrationslager Mauthausen. Bedrückendes hat Petrowskaja zu erzählen, und doch ist ihr Ton wundersam leicht.

Donna Tartt: "Der Distelfink"

Die 50-jährige Amerikanerin Donna Tartt tickt wie ein Uhrwerk: Alle zehn Jahre erscheint von ihr ein Roman, der hat dann die Stärke eines Telefonbuches und die Güte eines Klassikers. So auch mit dieser leicht kriminellen Geschichte um das Verschwinden eines berühmten Gemäldes. Seit Wochen steht das Buch oben auf den US-Bestsellerlisten.

Toni Morrison: "Heimkehr"

Ein düsterer Roman ist das, was uns die amerikanische Nobelpreisträgerin da präsentiert. Ein Buch, in dem es manchmal nur ums Überleben geht, wenn der Rassismus ausbricht oder der Koreakrieg tobt. Bei einer Autorin wie Toni Morrison wird auch das zum Genuss. Zudem gibt es, so viel sei verraten, wenigstens ein echtes Happyend.

Jean Echenoz: "14"

Im aktuell unüberschaubaren Wust von Romanen über den Ersten Weltkrieg ragt dieses Buch schon wegen seines geringen Umfangs heraus. Es breitet nicht das großen Panorama dieser Urkatastrophe aus, sondern erzählt das Grauen auch melancholisch am Beispiel von jungen Franzosen, die als Freunde in den Krieg ziehen.

Fabian Hirschmann: "Am Ende schmeißen wir mit Gold"

Fabian Hirschmann ist der geheime Star der Buchmesse. Der 30-jährige Debütant aus Berlin hat die Online-Abstimmung zum Leipziger Buchpreis mit 45 Prozent klar für sich entschieden — also eine echte Lesermeinung. Sein Roman ist einer dieser Aufbruchgeschichten, diesmal mit dem jungen Lehrer Max. So etwas muss schnell und schelmisch sein, und wenn Hirschmann jetzt bereits mit Herrndorfs "Tschick" verglichen wird, weiß man, dass dies mit seiner ersten Erzählung auch gelungen ist.

Feridun Zaimoglu: "Isabel"

Sie hat die ersten Runden des Lebens hinter sich. Nun ist Isabel nicht mehr so schön, um als Model zu arbeiten, und als Schauspielerin nur mäßig gefragt. Zeit innezuhalten. Isabel verlässt ihren Freund, will es mit einem keuschen Leben versuchen, als sie auf Marcus trifft, den Soldaten. Er ist Kriegsheimkehrer aus dem Kosovo-Einsatz, ein versehrter Typ, der so viel mitgemacht hat, dass er sein Leben fortan lieber auf emotionaler Sparflamme führen will. Spannender Ausgangs- punkt für eine Liebesgeschichte.

Tim Krohn: "Aus dem Leben einer Matratze"

Ein Erzähler nimmt sich vor, von Europa zu erzählen. Er wählt einen beachtlichen Zeitraum von den 1930er bis in die 90er Jahre und einen wenig beachteten Gegenstand, um sich durch die Jahrzehnte treiben zu lassen: eine Matratze. Tim Krohn legt mit "Aus dem Leben einer Matratze" einen Episodenroman vor, der in ruhigem Ton geschrieben ist. Der Autor muss nicht stilistisch brillieren, denn er hat viel zu erzählen, von der Liebe des Juden Wassermann und einer Schlafmatte, die weit herumkommt.

(los)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort