Eine Frage des Stils Die eigenen vier Blech-Wände

Wie privat ist eigentlich das eigene Auto? Darf ich mich da benehmen wie zuhause? Oder bin ich in meinem Wagen komplett in der Öffentlichkeit? Die Antwort ist gar nicht so einfach.

Kürzlich mal wieder an einer roten Ampel neben einem Pkw angehalten, dessen Fahrer in beinahe rührender Selbstvergessenheit innig in der Nase bohrte. Ich habe dann rasch wieder nach vorn gesehen, aus Höflichkeit ebenso wie aus Gründen des Selbstschutzes. Und mich gefragt: Ist der Typ jetzt ein ziemliches Ferkel? Oder geht mich das eigentlich nichts an, weil das Auto ein geschützter Raum mit entsprechendem Recht auf Privatsphäre ist? Und wie privat genau darf ich mich da fühlen?

Zugegeben: Das Beispiel ist ein eher eindeutiges. Durchs Autofenster wird man nun einmal regelmäßig von anderen Verkehrsteilnehmern gesehen, wenn man nicht gerade mit 180 km/h auf der Überholspur unterwegs ist. Und vor anderen in der Nase zu bohren ist definitiv stillos und vor allem unappetitlich, selbst wenn wir alle ahnen, dass es die anderen gelegentlich auch tun. Allerdings eben nicht, wenn sie mit uns am Kaffeetisch sitzen, und das sollte uns Hinweis genug sein.

Ansonsten aber ist es durchaus angemessen, das eigene Auto als eine Art halb-öffentlichen Raum zu sehen - als einen, in dem man sich an gewisse Normen hält, den genauen Rahmen dafür aber selbst festlegen darf. Vielleicht wie das Wohnzimmer in einer Wohnung, in der häufig Gäste zu Besuch sind. Eines, dessen Einrichtung und Ordnungszustand zwar etwas über seinen Bewohner verraten - aber weniger, als es ein heimlicher Blick ins Schlafzimmer (Betten gemacht? Alle Sachen ordentlich im Schrank?) tun würde.

Es ist demnach völlig in Ordnung, in einem überwiegend selbst genutzten Auto großzügiger mit dem Ordnungsbegriff umzugehen, als man es zuhause vor einem Besuch von Erbtante Gerda tun würde. Es wird ja niemand gezwungen, durch Ihre Seitenscheibe hinein zu gaffen. Vielleicht fragen Sie sich am besten, was Sie auch einem spontanen Mitfahrer noch zumuten würden. In meinem Fall hieße das etwa: Stapelweise gelesene Zeitungen - ja. Angebissene Äpfel im Fußraum - nein.

Auch beim Benehmen dürfen Sie lockerere Maßstäbe ansetzen als, sagen wir, im Wartezimmer Ihres Arztes. Selbstgespräche? Sind erlaubt, erst recht, weil heutzutage ohnehin alle denken, dass Sie gerade ihre Freisprecheinrichtung nutzen. Über andere Verkehrsteilnehmer herziehen oder genervt vor sich hin pöbeln? So lange Sie damit niemanden beleidigen (Fenster runtergekurbelt?), sollten Sie sich wie zuhause fühlen dürfen. Geräuschvoll einen krümeligen Müsliriegel kauen, Haare kämmen, Nachschminken? Ja, ja und ja. (Zu den herunterfallenden Krümeln vom Müsliriegel gehen Sie zurück zu 'Ordnungsbegriff)

Rein rechtlich gesehen dürfen Sie übrigens auch nackt Auto fahren, so lange Sie damit nicht die Allgemeinheit belästigen. Vielleicht halten Sie es in diesem Punkt aber besser wie mit dem Nasebohren. Sie wissen schon: Rote Ampeln, Seitenfenster...

Schicken Sie Ihre eigenen Fragen an stilfrage@rheinische-post.de

(RP)
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