Die Einsamkeit einer Mutter

In "24 Wochen" spielt Julia Jentsch eine Frau, die ein behindertes Kind erwartet.

Beim Abendessen spricht die Großmutter aus, was Astrid und Markus nicht über die Lippen kommt. "Habt ihr mal drüber nachgedacht, dieses Kind nicht zu kriegen?" Eine Frage, auf die es keine gute Antwort gibt. Die Regisseurin und Drehbuchautorin Ana Zohra Berrached hat aus ihr ein Familiendrama gemacht, das so aufwühlt und verunsichert wie kein zweiter deutscher Film des vergangenen Jahres - und das als einziger einheimischer Berlinale-Wettbewerbsbeitrag 2016 viel Lob bekam.

Mit ihrer neunjährigen Tochter leben die Kabarettistin Astrid und ihr Mann Markus in Berlin und freuen sich auf ihr zweites Kind. Im vierten Schwangerschaftsmonat kommt die Diagnose Down Syndrom als Schock. Astrid wahrt noch eine Weile die Fassung, eines Tages ist es damit vorbei. Mitten im Auftritt in einer Comedy-Fernsehshow bricht sie ab, starrt verzweifelt ins Publikum, weil für sie die Tage des Lachens vorbei sind. Julia Jentsch brennt sich einem durch die Netzhaut direkt in die Seele als diese beherrschte, um ihren Frieden gebrachte Frau. Kaum weniger wunderbar ist neben ihr Bjarne Mädel: Der Komiker aus "Stromberg" empfiehlt sich als Charakterdarsteller.

Für mehr Authentizität umgibt Berrached das Paar halb dokumentarisch mit einem Cast aus echten Medizinern und Comedy-Kollegen. Wohin Astrid und Markus sich in ihrer neuen Lage auch wenden, stoßen sie plötzlich auf Unsicherheit oder Ablehnung, egal ob beim Arztgespräch, im Freundeskreis oder im Job. Die Gruppe von Kindern mit Down Syndrom, die sie mit ihrer Tochter besuchen, jagt der Kleinen Angst ein. "Ich kann das einfach nicht, ich find' das eklig!", stammelt die junge Haushaltshilfe, der Astrid mehr Geld für mehr künftige Arbeit anbieten will. So vergehen die Wochen. Irgendwann zieht auch Markus sich zurück und lässt Astrid mit der Frage allein, ob sie das Kind behalten soll. Oder eine Spätabtreibung vornehmen, wie neun von zehn Frauen in ihrer Lage.

Still und ungeschönt realistisch setzt Berrached das alles ins Bild, sie will ihr Publikum konfrontieren, mit aller Härte. Ab und zu lässt sie Astrid wortlos ins Bild blicken, den Zuschauer auffordernd, ihre einsame Entscheidung mit zu treffen.

"24 Wochen" packt und schmerzt einen mit der exzellenten Besetzung und seiner unaufdringlichen Intensität. Wirklich besonders aber wird der Film erst durch sein Ende. Vor vier Jahren handelte Berracheds Spielfilm-Erstling "Zwei Mütter" von einem lesbischen Paar mit Kinderwunsch. Da hat sie noch nicht so kompromisslos Stellung bezogen wie hier.

(RP)
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