Die Entdeckung von Machu Picchu

Zwiespältig: Sabrina Janeschs neuer Abenteuerroman "Die goldene Stadt".

Hiram Bingham, Yale-Professor und Vorbild für Indiana Jones, hat 1911 Machu Picchu für Archäologie, Tourismus und Hollywood erschlossen, aber nicht entdeckt. Bereits 1876 beschrieb und kartografierte der deutsche Ingenieur Rudolph August Berns die sagenumwobene Inkastadt in den Bergen von Cuzco: Das Weltwunder lag ganz in der Nähe seines Sägewerks, wo er Holz für die Eisenbahn schlug. Zusammen mit seinem Partner Harry Singer versuchte Berns seine Entdeckung zu vermarkten, aber nicht nur Erdrutsche, Brände und Kriege kamen dazwischen: Machu Picchu war zu groß für einen kleinen Ingenieur aus Uerdingen. Berns arbeitete später am Bau der Brooklyn-Bridge und des Panamakanals mit, 1887 trat er mit seiner Aktiengesellschaft "Huacas del Inca" (Schätze der Inkas) als Börsenschwindler in Erscheinung. Danach verliert sich seine Spur.

In Sabrina Janeschs Roman begegnet der alte, halb verwilderte Berns 1911 seinem jungen schnöselig-arroganten Kollegen Bingham. Die 32-jährige deutsch-polnische Autorin nimmt sich einige solcher Freiheiten. Über den historischen Berns weiß man nicht viel. Ihrer ist jedenfalls ein Phantast, der schon als Kind das "kaleidoskopische Denken" kultiviert und von unentdeckten goldenen Städten träumt. Der greise Humboldt warnt ihn bei einem Treffen in Berlin, El Dorado sei ein verderbliches Wahnbild, aber Berns hält bald nichts mehr. 1863 wandert er nach Peru aus, wo er sich im Krieg gegen die Spanier und beim Eisenbahnbau erste Sporen als patenter, belastbarer Ingenieur verdient. Berns ist traumatisierter Soldat, preußisch disziplinierter Baumeister, kühner Unternehmer und Konquistador (der peruanische Präsident persönlich zeichnet ihn mit Pizarros Siegelring aus), zuletzt Betrüger, aber immer und vor allem: fanatischer Goldsucher.

Mit dem Satz "Der traut sich was" pflegt er seinen allerhöchsten Respekt auszudrücken. Janesch traut sich auch was. Machu Picchu ist für sie das "Symbol einer übermenschlichen Anstrengung, einer Manie", und das gilt auch für ihre Romanbiografie. Jahrelang hat sie in den Archiven zwischen Lima, New York und Uerdingen recherchiert, mit Historikern und Ahnenforschern gesprochen, am Oberlauf des Rio Urubamba Gold gewaschen, Maisbier getrunken und Inkatempel gesucht. Verglichen mit dem Aufwand fällt der Ertrag - ähnlich wie bei Berns' - eher dürftig aus. "Die goldene Stadt" ist ein fast klassischer Abenteuerroman, aber kein unentdeckter Goldschatz. Raue Burschen am Ende der Welt, korrupte Politiker, misstrauische Indios, reißende Ströme, Jaguar und Anaconda, Malaria und Vampirfledermäuse: Alles, was man im Busch erwartet, tritt tatsächlich auf. Das über fünfhundert Seiten hinweg einigermaßen spannend, faktentreu und nicht ohne fiebrig heiße Fantasie zu erzählen, ist keine geringe Leistung.

Mehr (etwa einen Blick hinter die Fassade des goldgierigen Pioniers) darf man jedoch nicht erwarten. Gute Landschaftsbeschreibungen, lateinamerikanisch starke Leidenschaften und ein Auftritt des alten Humboldt machen aber noch nicht den Magischen Realismus, mit dem Janesch so gern kokettiert.

(RP)
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