Pariser Philharmonie Die hängenden Gärten der Musik

Paris · Die Pariser Philharmonie lockt seit ihrer Eröffnung mit großen Namen. Das Gebäude des Stararchitekten Jean Nouvel ist allerdings noch nicht ganz fertig. Mindestens drei Monate lang muss noch gebaut werden - bei laufendem Betrieb.

 So sieht ein Blick in die Pariser Philharmonie aus.

So sieht ein Blick in die Pariser Philharmonie aus.

Foto: dpa

Die roten Baukräne heben sich deutlich gegen das Grau der Fassade ab. Noch gut drei Monate lang werden sie im Einsatz sein, um die Pariser Philharmonie fertigzustellen. Denn im Dach fehlen noch die Platten, in den Gängen winden sich die Kabel, und das Restaurant ist noch im Rohbau. Doch wenn jeden Abend um 20.30 Uhr die prominentesten Musiker der Welt die Bühne betreten, ist die Baustelle für gut zwei Stunden vergessen. Zumindest unter den 2400 Zuschauern, die die "Grande Salle" füllen.

Einer, der sich den Konzerten bisher verweigert, ist der Stararchitekt Jean Nouvel. Der 69-Jährige, der 2007 die Ausschreibung gewonnen hatte, kam nicht zur Eröffnung der Philharmonie am 14. Januar. Verfrüht fand der Franzose den Beginn des Konzertbetriebs. "Das Gebäude ist nicht fertig. Eine akustische Erprobung des Konzertsaals hat es nicht gegeben", kritisierte der Pritzker-Preisträger, der bereits das Konzerthaus Kopenhagen sowie das Kultur- und Kongresszentrum in Luzern baute, in der Zeitung "Le Monde". Für einen Perfektionisten wie Nouvel ein Grund, die Eröffnung nach mehr als sieben Jahren Bauzeit auf September verschieben zu wollen. Doch die Konzerttermine standen, die Künstler waren gebucht.

"Eine spätere Eröffnung wäre extrem teuer geworden", sagt die Leitung zu ihrer Entscheidung, die Philharmonie als Baustelle zu eröffnen. Es ist auch ein Signal an die Pariser, die das Langzeit-Projekt in Nachbarschaft zu den Problemvorstädten kritisiert hatten und lieber am alten Konzertsaal Pleyel im schicken achten Arrondissement festhalten wollten.

Doch der neue Standort an der Porte de Pantin ist bewusst gewählt. Er soll eine Verbindung sein zwischen Paris und seiner "Banlieue", zwischen Altem und Neuem, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Und so ist der riesige, 52 Meter hohe Quader in der grauen Aluminiumwolke Jean Nouvels eine Art ausgestreckte Hand - an die Bewohner der Vorstädte. Sie bekommen jeden Abend per Laser das Programm auf die Außenfläche projiziert.

Und die Philharmonie wartet mit großen Namen auf. Hélène Grimaud, Daniel Barenboim und Lang Lang - sie alle spielten gleich in der ersten Woche im großen, ultramodernen Konzertsaal mit seiner unvergleichlichen Akustik. Warm wirkt der Raum mit seinen Gelb-Tönen, in dem die Konzertbesucher höchstens 32 Meter von den Musikern entfernt sind. Wie in der Berliner Philharmonie ist der Saal als eine Art Weinberg konzipiert mit der Bühne in der Mitte und dem Publikum rundherum.

Die Balkone sind frei schwebend und nicht direkt an der Wand befestigt, damit die Musik auch dahinter klingen kann. "Eingehüllt" soll der Zuschauer sein in den Klang, für den die Akustikexperten Harold Marshall und Yasuhisa Toyota verantwortlich sind. Dass die oberen Ränge mit ihrer geschwungenen Form an Wolken erinnern, ist kein Zufall. Bewusst suchte Architekt Nouvel die Anklänge an die Natur. Durch den benachbarten Parc de la Villette ließ der Franzose sich für sein Gebäude inspirieren. 340 000 Vogelfiguren in Aluminium verschiedener Grautöne bedecken das geschwungene Dach. Die ungleichmäßig hohen Decken sollen an Bäume erinnern, und Metallplättchen symbolisieren die Blätter.

45 000 Besucher kamen in den ersten fünf Tagen, um die neue Philharmonie zu sehen. Ein Zeichen für das große Interesse der Pariser, die jahrzehntelang auf eine Philharmonie gewartet hatten. Das Gebäude mit seinen 23 000 Quadratmetern Grundfläche, das gut 380 Millionen Euro kostete, soll nicht nur die Musik-Kenner anlocken. "Musik wird ein fester Lebensbestandteil für jedermann, besonders für junge Menschen", umschreibt der Präsident der Philharmonie, Laurent Bayle, sein Konzept

Schon jetzt ist das Publikum deutlich gemischter, als es in der altehrwürdigen Salle Pleyel an den Champs Elysées war. Unter die bürgerlichen Konzertbesucher mischen sich interessierte Jugendliche, die sich die billigsten Karten ab zehn Euro auch leisten können. An sie richten sich auch die Themenwochenenden, mit denen die Philharmonie ein neues Publikum ansprechen will. In den Untergeschossen beherbergt das Konzertgebäude dazu auf 2000 Quadratmetern 15 Musik-Werkstätten. Der Konzertsaal ist nicht nur für Klassik gerüstet, sondern kann auch Pop-Konzerten eine Bühne bieten. Eine Zuschauertribüne wird dafür einfach in der Wand versenkt, und Stuhlreihen verschwinden im Boden, um Platz für insgesamt 3650 Zuschauer zu machen.

Wie ein Popstar wurde am Wochenende bereits der Venezolaner Gustavo Dudamel gefeiert. Der Stardirigent brachte mit den 150 Mitgliedern seines Orchesters Simón Bolívar den futuristischen Saal bis auf den hintersten Platz zum Klingen. Doch der Zauber der Musik endet in der Philharmonie jeden Abend um 23 Uhr: Dann nehmen die Bauarbeiter wieder von dem Gebäude Besitz.

Zumindest noch für die nächsten drei Monate.

(RP)
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