Die Kunst der Diktatoren

Diktatoren sind Menschen, die alles selbst bestimmen – auch das Erscheinungsbild ihrer Macht. Sie drücken der Architektur ebenso ihren autoritären Stempel auf wie den Künsten. Und sie mögen das Monströse, auch den Kitsch.

Diktatoren sind Menschen, die alles selbst bestimmen — auch das Erscheinungsbild ihrer Macht. Sie drücken der Architektur ebenso ihren autoritären Stempel auf wie den Künsten. Und sie mögen das Monströse, auch den Kitsch.

Der Größenwahn hat viele Namen: Monumentalmalerei und auftrumpfender Neoklassizismus, Selbststilisierung und Kitsch. Wenn Diktatoren wie der jüngst aus dem Präsidentenamt gejagte Ukrainer Viktor Janukowitsch sich öffentlich in Szene setzen, appellieren sie an die schlichtesten Affekte ihrer Untertanen. Sie wollen durch die schiere Größe ihres Amts- und ihres Wohnsitzes Respekt erlangen, durch überbordenden Zierrat Bewunderung ernten und durch ihre Allgegenwart in Abbildern den Anschein erwecken, als seien sie die bedeutendste Persönlichkeit des Landes.

In den zurückliegenden Jahren haben mehrere Diktatoren die Erfahrung gemacht, dass ihre Bevölkerung das Unrechtsregime, das sie führten, nicht mehr dulden wollte. Nicolae Ceausescu war neostalinistischer Diktator der Sozialistischen Republik Rumänien, bis ihm 1989 die Machthaber der sich sachte demokratisierenden Sowjetunion den Rücktritt nahelegten. Saddam Hussein, Staatspräsident des Irak, verlor sein Amt, als im Jahr 2003 Truppen der USA und ihrer Verbündeten das Land besetzten. Zine el-Abidine Ben Ali, der Präsident Tunesiens, floh 2011 nach gewaltsamen öffentlichen Protesten aus seinem Land in Richtung Saudi-Arabien. Und Viktor Janukowitsch war Präsident der Ukraine, bis ihn vor einer Woche das Parlament im Zuge der Kiewer Unruhen kurzerhand für abgesetzt erklärte.

Gemeinsam ist ihnen und den anderen, die sich hier aufführen ließen, dass sie auf das bewährte Arsenal von Repräsentationsmöglichkeiten zurückgriffen, das schon Diktatoren der Vergangenheit erfolgreich benutzt hatten, Hitler und Stalin vor allem. Da sie beim Volk ankommen wollten, setzten sie ausschließlich auf Bekanntes.

Also nichts Experimentelles, nichts Avantgardistisches, sondern Realismus pur. Drei riesige, gleichartige Bronze-Büsten von Saddam Hussein ragten einst auf den Türmen des Palasts der Republik mitten in Bagdad auf. Wohlgemerkt drei, denn durch die Vervielfältigung erhöhte sich aus Sicht des Porträtierten die Bedeutung.

Viktor Janukowitsch bewohnte bis vor kurzem einen Protz-Palast, an dessen Bau kurioserweise ein Schreiner aus Bayern mitwirkte. Edle Holzverkleidungen, vergoldete Wasserhähne und ein privater Golfplatz zeichnen die Immobilie aus — und ein architektonischer Overkill. Denn wenn man sich in Abbildungen dieser Monstrosität vertieft, stellt man fest, dass das Haus mit allen Zutaten versehen wurde, die einem Architekten zu Gebote stehen: Erker in runder und eckiger Gestalt, Wintergarten und Arkaden. Herausgekommen ist dabei eine Mischung aus gigantischer russischer Datscha und italienischem Palazzo.

Auch im Inneren wurde sinnlos gemischt. In allen Räumen leuchten schwere Kristallluster. Zentimeterdicke Teppiche bedecken die Böden. Alles ist teuer, aber soweit die Bilder das Ambiente wiedergeben, passt nichts in seine Umgebung.

Ein noch größeres Ungetüm ist der Parlamentspalast der rumänischen Hauptstadt Bukarest: das größte Gebäude Europas und eines der größten der Welt. Ceausescu hatte es zwischen 1983 und 1989 errichten lassen. Der Bau hielt 700 Architekten und 20 000 Arbeiter in Atem. Seine Grundfläche beträgt 65 000 Quadratmeter, die bebaute Fläche 365 000 Quadratmeter. Zum Vergleich: Das Pentagon belegt 610 000 Quadratmeter. Die Baukosten beliefen sich auf geschätzt 3,3 Milliarden Euro, was bis zu 40 Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts Rumäniens entsprach.

Stilistisch zählt das Gebäude, wie es bei Diktatorenarchitektur schlechter Brauch ist, zum Neoklassizismus. Eigentlich ist Neoklassizismus nichts Verwerfliches, doch unter den mitgestaltenden Händen von Diktatoren gleitet dieser Stil unweigerlich ins Monumentale ab. Der britische Historiker Tony Judt sieht den Palast als eine monströse Metapher maßloser Tyrannei. Auch im Inneren hält der Bau den diktatorischen Klischees die Treue: Marmortreppe (kostbar, kostbar), Luster, roter Teppich — wie sich die Bilder gleichen!

Was aber wäre ein Diktator ohne Personenkult? In der Sowjetunion sollen die Stalin-Bildnisse bis heute noch nicht ganz ausgerottet sein. Auch der Tunesier Ben Ali hat sich während seiner Amtszeit zu inszenieren gewusst. Fotografien bezeugen riesige Bilder auf den Wänden von Gebäuden, die ihn überlebensgroß vor tunesischer Flagge dem Volk als Vorbild preisen.

Nun mag man einwenden, dass demokratische Staaten gleichfalls Wert auf Repräsentation legen. Auch das Weiße Haus in Washington gebietet dem Betrachter Achtung, auch dort herrscht ein gewisser Luxus: 35 Badezimmer, Swimmingpool, Tennisplatz, Kinosaal, Basketballfeld und eine unter Präsident Richard Nixon eingerichtete Kegelbahn. Doch dieser Luxus gilt nicht der Person, sondern allein dem Amt. Und das ist nur auf Zeit verliehen. Die Ästhetik der Diktaturen dagegen beruht auf den Anordnungen eines Einzelnen, der sich über alles hinwegsetzen kann: über tradierte Maßstäbe, Proportionen, überhaupt über guten Geschmack.

Hitler und Stalin haben in dieser Beziehung ihre eigenen, bösen Maßstäbe gesetzt. Manches Ergebnis ihrer Imponierarchitektur steht noch heute. In sowjetischen Städten zum Beispiel kann man sich nach wie vor ein Bild vom Zuckerbäckerstil machen — einem überbordenden, ornamentalen Baustil, bei dem die Verzierungen aufgepfropft und selbstzweckhaft erscheinen. Der sozialistische Klassizismus hat fast im gesamten einstigen Ostblock Spuren hinterlassen. Monumentalität, Selbststilisierung eines autoritären Staates, Kitsch — da ist es wieder, das verhängnisvolle Dreigespann.

(RP)
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