Die Kunst vom Gewicht der Dinge befreien

Das Kunstmuseum Wolfsburg gibt eine Übersicht über das Schaffen des Düsseldorfer Minimalisten Imi Knoebel.

Das Jahr 1968 steht in der deutschen Nachkriegsgeschichte für die Jahre des Protests: politisch, gesellschaftlich und künstlerisch. Die Düsseldorfer Akademie war einer jener Unruheorte, die das Bürgertum fürchtete - ein Schmelztiegel, in dem Künstler zu Aktivisten wurden, Professoren sich radikalisierten, die Kunst ihre Rolle veränderte. Schon 1964 zog es zwei junge Künstler aus Dessau nach Düsseldorf. Sie hießen beide Imi mit Vornamen, was nichts mit dem bekannten Scheuerpulver zu tun hat. Es war eine aus einer Laune entstandene Namensgebung, die unbedingte Verbundenheit und Vertrautheit ausdrückte und als Abkürzung für "Ich mit ihm" stand.

Imi Knoebel und Imi Giese hatten in der Zeitung gelesen, dass in Düsseldorf ein Kunstprofessor geschlagen worden war, ein Bild von Joseph Beuys war mit abgedruckt. Das interessierte sie sehr, sie wechselten nach Düsseldorf an die Akademie. Um in die Klasse von Joseph Beuys zu gelangen, brauchte es ein Jahr, denn damals wollten alle zu ihm. Man musste buhlen um den Meister, auch Imi & Imi, die als Künstlerduo schon ein Begriff waren.

Die Imis hatten entschieden, dem charismatischen Professor nicht ihre Arbeiten zu zeigen, denn sie glaubten, nicht gut genug zu sein. Sie hatten sich vielmehr ausgedacht, Forderungen an ihn zu stellen. Das passte in die aufrührerische Zeit. "Wir brauchen einen Raum", haben sie schließlich zu Joseph Beuys gesagt. Und der hat ihnen sogleich den Raum neben seinem Klassenzimmer Nr. 20 gegeben. Das haben die beiden Imis erst nicht glauben wollen, auch nicht, dass sie jetzt Beuys-Schüler waren. Anfangs noch gemeinsam mit Jörg Immendorff und Blinky Palermo nahmen sie ihre künstlerische Arbeit in Raum 19 auf.

Diesem "Raum 19" begegnen wir heute wieder als raumgreifende Installation in der großen Imi-Knoebel-Ausstellung im Wolfsburger Kunstmuseum. Es ist die Brutstätte seines Werkes und in der Ausstellung ein programmatischer Auftakt: Teile aus Hartfaser und Holz, Würfel, Quader, Zylinder, dazu leere Keilrahmen - dies alles bildet die Arbeit, ursprünglich waren es einmal 836 Teile. Es gibt vier Ausführungen in variierenden Größen, Wolfsburg zeigt Nummer III 1968/2006, eigens vom Künstler für diese Ausstellung aufgebaut.

Warum das wichtig ist? Weil Raum 19 ein Meilenstein für Imi Knoebel war und weil man beim Betrachten dieser Arbeit beispielhaft erkennt, dass es verschiedene Wege zu dem introvertierten Asketen gibt: sein Werk zu sehen und/oder zu verstehen. Das eine ist vor allem Augenarbeit, das andere geschieht im Kopf. Man kann also die Bilder des Minimalisten ansehen, auf sich wirken lassen, spüren, dass es Vergleichbares nicht gibt. Der Schlüssel zum Verstehen findet sich in dem informativen Katalogbuch, das Knoebels Schaffen über die Jahrzehnte detailgenau und anekdotisch dokumentiert.

Als Schüler von Beuys, der den Kunstbegriff erweiterte, entwickelt der junge Avantgardist an der Akademie ein Formenvokabular, aus dem er seine eigenwilligen Bilder ableitet. Erst sind es Striche, die er zeichnet, Tag für Tag, Tausende Blätter voll, die Linien sind mal dick und mal dünn, auf Leinwand oder Papier aufgebracht. Vom Sich-freiZeichnen eines aufbegehrenden Kunststudenten berichten diese Linienbilder, die den Beginn des Oeuvres und der Ausstellung "Werke 1966-2014" in Wolfsburg markieren.

Zeichnen wird Knoebel später nicht mehr viel, doch lebenslang wird er das Genre Malerei untersuchen und neu befragen. Zwei- wie dreidimensional geht er vor als ein Komponist von Linie und Form, Fläche und Farbe. Malewitschs "Schwarzes Quadrat" bestärkt ihn in seiner Haltung. Knoebel baut 1968 vier schwarze Platten zu einem schräg gestellten Kreuz zusammen, es ist eine seiner wichtigsten Arbeiten, die Kunstkritiker als programmatische Entleerung und Hommage an Malewitsch bewerten. Knoebel strebt wie Malewitsch danach, die Kunst vom Gewicht der Dinge zu befreien.

Knoebel selbst hat diese Ausstellung im 40 mal 40 Meter großen, industriell geprägten Raum inszeniert, drei diagonale Wände wurden eingezogen, sie durchstechen das Licht. Es gibt keine Chronologie, sondern einen Dialog der Werke - das hat seinen Grund, denn meist bezieht sich Knoebel im Neuen auf Vorausgegangenes. Jedes Bild ist Teil eines sich stets selbst erweiternden Gesamtwerks, alles hängt irgendwie zusammen. Die Schau gleicht einem großen begehbaren Bild, beim Durchwandern der Räume nimmt man wahr, wie sehr Knoebel Wände, Licht und Raum als Bezugsgrößen seiner Werke einplant. Oben am Fries der Ausstellungshalle konkurrieren die Jahrzehnte direkt miteinander, von der Empore aus ist Raum 19 zum ersten Mal aus der Vogelperspektive zu sehen.

Knoebel hat ausgebreitet, was sein Oeuvre ausmacht. Übertreibung lässt er nicht zu, er bevorzugt die Reduktion. Abstrakt sind seine Arbeiten, der Minimal Art und Konzeptkunst zuzurechnen. Er wählt Konstruktionen fern jeder sinnstiftenden Ausgestaltung, die uns als Motive des Alltags vertraut sind. Geometrisch betont sind seine Bilder, penibel geplant und formschön ausgeführt. Die reine Farbe überragt jede Komposition in diktatorischer Manier.

Knoebel war von Anbeginn ein Hinterfrager der Malerei, bezeichnet diese nicht als Kunst, sondern als Werkzeug der Kunst. Bei aller Coolness von Künstler und Werk klingt leise emotionale Bewegtheit an. Man muss dies aufmerksam dechiffrieren. Auch den prosaischen Titeln seiner Arbeiten spürt man nach: "Schwules Bild" oder "Eigentum Himmelreich" heißen sie, "Kartoffelbild" "Revolver III" oder "Die Schlacht". Ganz in Weiß ist die Plattenarbeit "Sunday" gehalten, "Grünes Siebeneck" hingegen ein Fall zum Knobeln: Warum ist das Mehreck pink, wo doch "grün" dransteht? Man erfährt, dass der Künstler das perfekte Grün nicht finden konnte.

Der Fundus seiner Materialien ist groß. Außer Farben und Leinwänden setzt er gold lackierte Rohre neben rostigen Blechen ein, grobe Hölzer, Wellbleche, fein poliertes Aluminium - auch alte Leitern wie in der als Requiem seinem früh verstorbenen Künstlerfreund Imi Giese gewidmeten, beinahe wehmütigen Installation "Eigentum Himmelreich".

Imi Knoebel, der seit 1964 in Düsseldorf lebt, gilt als einer der bedeutenden Künstler der Nachkriegszeit, er behauptet Platz 21 auf dem internationalen Ranking. Das Spektrum der etwa 100 in Wolfsburg ausgestellten Arbeiten reicht von seinen frühen monochromen Gemälden über die farbigen Aluminiumreliefs der 1990er Jahre und raumgreifenden Installationen zu den späten Cut-Ups. Seine Arbeiten kann man mögen, weil sie farbig froh und ästhetisch anregend wirken. Wer sich mit dem gesamten Oeuvre beschäftigt, was in Wolfsburg möglich ist, entdeckt den tiefsinnigen Imi Knoebel, der sehr frei und doch entschlossen Untersuchungen zur Kunst anstellt.

Was würde wohl Joseph Beuys heute zum Werk seines Schülers sagen? Er würde das Potential der 68er noch wittern und gleichzeitig die Veredelung anerkennen.

(RP)
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