Die Renaissance von links und rechts

Die beiden bekannten Berliner Publizisten Jakob Augstein und Nikolaus Blome ahmen das Duo Kienzle/Hauser nach.

Das Original ist fast immer die bessere Alternative, das Vorbild sowieso. Unverkennbar sind die beiden bundesweit bekannten Berliner Journalisten Jakob Augstein und Nikolaus Blome Nachahmer. Sie erinnern in ihrem zelebrierten (vielleicht bloß inszenierten?) Meinungsstreit über die wichtigen Angelegenheiten der Res publica an die beiden ungleichen Fernseh- Brüder Bodo Hauser und Ulrich Kienzle, die vor 20 Jahren einmal pro Woche nach dem politischen Rechts-Links-Schema ZDF-Geschichte schrieben. "Noch Fragen, Kienzle? Ja, Hauser!" war überwiegend erfrischend und belebend, gut geeignet zum Partei ergreifen, entweder für den linksliberal-herben Schwaben-Schnäuzer Kienzle oder den beleibt-gemütlichen bürgerlich-konservativen Krefelder Bodo Hauser.

Nun also Augstein und Blome - hier der sich links gebende Millionen-Erbe, Verleger und Publizist Augstein, dort der liberal-konservative Vize-Chefredakteur der größten deutschen Boulevardzeitung. Mit ihrem Buch, das 30 Streitgespräche lesbar macht, legen Augstein/Blome ein Bekenntnis ab zur Diskussion wichtiger Themen, die uns alle betreffen und deshalb politisch sind. Europa, die Kanzlerin mit ihren Stärken und Schwächen (letztere betont Augstein mehr als Merkel- Biograf Blome), die Vor - und Nachteile des Euro, die Gerechtigkeit der Gesellschaft. Sie beantworten die Frage, ob uns die Briten in der EU fehlen werden, wie gefährlich der Islam und Putin und ob uns Flüchtlinge lieb und vor allem wie teuer sie uns sind.

Augstein und Blome führen Kontroversen darüber, ob und wie die SPD noch zu retten sei. Blome meint, die deutsche Sozialdemokratie werde nicht an den Zeitläuften, noch gar am politischen Gegner, wohl jedoch an sich selbst scheitern. Die SPD rieche nach Gewesenem. So frech ist Blome sonst selten. Dauer-Provokateur Augstein sieht die einzige Chance zum Wiedererstarken der Sozialdemokratie darin, dass sie für Europa eine sozialistische Idee anbietet. Sozialismus, so meint der linke Utopist, bedinge gerechte Wirtschaft, zivile Gesellschaft, friedlichen Staat. Blome hält als Anti-Utopist dagegen; wenn er argumentiert, klingt das stets ein wenig nach Kants "Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen".

Die Streitereien der wachen Köpfe verlaufen nicht in festen Bahnen, was das Buch überraschend und lesenswert macht. Wer beispielsweise gedacht hat, dass sich der liberal- konservative Blome für die Zeit nach der Bundestagswahl in elf Monaten die Fortsetzung des Bestehenden wünsche, wird wachgerüttelt: "Ich wünsche mir Rot-Rot-Grün. Nicht als Regierung, aber als Wahl-Alternative." Augstein kontert, sein Opponent mache wohl Witze. Aber für Rot-Rot-Grün sei es bereits zu spät, denn weder Grüne noch SPD seien linke Parteien. Anderenfalls hätten sie die bestehende Mehrheit im Bundestag längst für ein gemeinsames linkes Projekt genutzt. Es folgt der Seufzer des Tagträumers, der den Unterschied zu Blomes Nüchternheit krass erhellt: "Ich lasse mir die Utopie nicht nehmen. Leute wie Sie dagegen haben das Wünschen verlernt. Sie kümmern sich nur noch darum, was möglich ist."

Ein wenig erinnert Augsteins Lust an der Provokation an die Geschichte vom reichen, gelangweilten Mann, den das soziale Gewissen des Privilegierten plagt und der will, dass etwas Neues, Aufregendes, vielleicht Umstürzendes passiert. Blome dagegen übt sich mit routiniertem Blick auf das Machbare und Erreichbare, aufs politische Bodenturnen; die gedanklichen Riesenfelgen am Reck überlässt er seinem aufgekratzten Polit-Zwilling.

Die Aufführungen des Duos dienen der Information über konträre Positionen zu politisch relevanten Fragestellungen. Man wird jedoch den Verdacht nicht los, dass es im Grunde um Unterhaltung durch polit-intellektuelle, letztlich harmlose Hahnenkämpfe geht. Daran werden alle jene ihre Freude habe, die in großkoalitionären Zeiten mit einer hauptsächlich präsidial fungierenden Regierungschefin und den nicht gut voneinander unterscheidbaren Mitte-Parteien CDU und SPD (die CSU gibt gelegentlich den zänkischen Zwerg) nach klaren politischen Alternativen dürsten. Augstein und Blome stehen für die Überlegung der Politikwissenschaftlerin Sandra Busch-Janser, die kürzlich fragte, ob es entgegen dem üblich gewordenen Berliner Sowohl-als-auch vielleicht wieder klare politische Bekenntnisse und Begründungen der politischen Entscheidungen bräuchte.

(mc)
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