Düsseldorf Die richtungweisende Oscar-Nacht

Düsseldorf · Die Wahl der Oscar-Preisträger legt die Vermutung nahe, dass in der Academy ein Umdenken stattfindet. Eine Analyse.

Vielleicht wird man diese Oscar-Nacht einmal als jene des Übergangs werten. Zumindest hat es den Anschein, es tue sich etwas in der Academy, die die Preise vergibt, als vollziehe sich ein Wandel. Rund 6000 Mitglieder hat diese Organisation, die ja immer ein wenig geheimnisvoll wirkt. Ihr gehören laut Statut Menschen an, die sich um die Filmkunst in besonderer Weise verdient gemacht haben, und das sind Schauspieler ebenso wie Bühnenbildner, Produzenten und Marketingfachleute. Kaum jemand kennt die Namen aller Mitglieder; wer Einfluss hat in Hollywood, gehört sicher dazu, und bisher galt außerdem dieses als verbürgt: Die meisten sind männlich, eher alt als jung, zudem sehr sentimental.

In diesem Jahr hat die Jury eigenwillig entschieden, anders als sonst: nicht wirklich mutig, aber doch ein bisschen; nicht radikal, aber politisch. Sie schob nicht die märchenhaften Erzählungen in den Vordergrund, nicht die eskapistischen Epen, und statt einer Fülle von Oscars für einen Titel gab es viele Statuen für viele Filme. Steven Spielberg etwa, der für sein Historiendrama "Lincoln" zwölf Mal nominiert war, blieben am Ende nur zwei Preise – der für das Produktionsdesign und jener für seinen Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis, der sich nach seinem dritten Oscar nun bester Schauspieler der Welt nennen darf. Statt des bewährten und jahrzehntelang herrschenden Traumfabrikanten mit dem Händchen für ur-amerikanische Mythen sprach man den Regie-Preis Ang Lee zu, der in Taiwan geboren wurde. Lee besitzt nun ebenso viele Regie-Oscars wie Spielberg, auch er ist zwar ein Magier und ein Geschichtenerzähler, aber einer aus anderem Holz, zu gleichen Teilen Denker und Schwärmer. "Brokeback Mountain" (2005) stammt von ihm, der Western mit den schwulen Cowboys im Zentrum. Jetzt setzt er in "Schiffbruch mit Tiger" 3D ein, und zwar mit einer Virtuosität und Innovationskraft, die Spielberg bei "Tim und Struppi" (2011), seiner Spielerei mit dieser Technik, vermissen ließ.

Auch die Auszeichnung für den besten Film ist beachtenswert. Die Zeit ist offenbar noch nicht reif dafür, eine ästhetisch konsequentere Produktion wie "Zero Dark Thirty" auszuwählen. Regisseurin Kathryn Bigelow zeigt Amerika darin als folternde Nation, das provozierte wütende Reaktionen; als Sieger ließ sich das Werk danach nicht mehr vermitteln. Dennoch gewann ein Produkt des linken Hollywood, "Argo" von Ben Affleck: ein Polit-Thriller im Stil der 70er Jahre, engagiert und dabei patriotisch. Man muss nun wissen, dass George Clooney die treibende Kraft hinter diesem Filmprojekt ist. Er sicherte sich die Rechte an der wahren Geschichte über US-Geiseln, die 1980 auf spektakuläre Weise durch den CIA aus dem Iran befreit wurden. Die Amerikaner gaben sich als Filmteam aus, das war der Trick. Clooney fungiert auch als Produzent, er gratulierte Ben Affleck als Erster, er gilt als Nestor des liberalen Los Angeles. So ist denn auch die Aufregung vieler Landsleute darüber nachzuvollziehen, dass ausgerechnet Michelle Obama diesen Preisträger ausrief – Clooney betrieb offensiv Wahlkampf für ihren Mann, Präsident Barack Obama. Auch Iran reagierte verärgert. Kulturminister Mohammed Hosseini bezeichnete "Argo" als künstlerisch und technisch unzulänglich. Man werde nun eine eigene Auslegung des Stoffs auf die Leinwand bringen, kündigte er an, einen Gegenfilm, geschildert natürlich aus Sicht der Iraner.

Sämtliche Preise wurden für unstrittig hochwertige Leistungen vergeben. Mit Anne Hathaway belohnte Hollywood zudem einen seiner Darlings, allein gegen die Entscheidung, Christoph Waltz neuerlich zu ehren, könnte man etwas einwenden. Waltz ist großartig, sicher, aber er führt doch seine Rolle aus "Inglourious Basterds" lediglich weiter, und Philip Seymour Hoffman ("The Master") und Robert De Niro ("Silver Linings") wären mit gleichem Recht preiswürdig gewesen.

Auffällig ist zudem die plötzlich entflammte Leidenschaft der Academy für Filme, die außerhalb des Studiosystems Hollywood produziert wurden. "Liebe" von Michael Haneke ist ein Beispiel. Der Österreicher gewann den Oscar für den "Besten fremdsprachigen Film", aber nominiert war er auch als Regisseur und für den besten Film. Das hat es seit Ingmar Bergmann nicht gegeben, allein das ist als Ritterschlag für eine Produktion zu verstehen, die in den USA so nicht zu verwirklichen gewesen wäre. "Silver Linings", die Komödie, die in den Königskategorien nominiert war, ist ein weiteres Beispiel: Das ist trotz Staraufgebots ein Independent-Film. Seine 22-jährige Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence gewann den Oscar, sie hätte schon vor drei Jahren für ihr Spiel in "Winters Bone" ausgezeichnet werden sollen, damals war sie noch eindrucksvoller. Lawrence wechselt souverän zwischen Mega-Produktionen wie "Die Tribute von Panem" und Genre-Arbeiten wie dem Horrorfilm "House At The End Of The Streets", sie macht keinen Unterschied zwischen groß und klein, das ist typisch für diese Generation von Stars.

So gibt Jennifer Lawrence dieser Oscar-Nacht ein Gesicht. Seit langem ist davon die Rede, die Show, die in den USA unter Zuschauerschwund leidet, müsse sich verjüngen, die Jury zeitgemäßer entscheiden, Strahlkraft entwickeln. Die Wahl des Moderators der Gala trug nun nicht dazu bei: Seth MacFarlane, der für den Kumpelproll-Humor von Filmen wie "Ted" verantwortlich ist, fiel lediglich durch Schlüpfrigkeit auf – kurzweilig wurde die Drei-Stunden-Veranstaltung durch ihn jedenfalls nicht. Es sind die Entscheidungen, die Anlass geben, den Abend als besonderen zu werten.

Das nächste Jahr zeigt dann, ob aus der Tendenz eine Haltung wird.

(RP)
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