Die syrische Tragödie

Ergreifende Reportagen aus einem Land, das zur Hölle geworden ist.

Begonnen hat die syrische Tragödie vor mehr als sechs Jahren. Im Zuge des politischen Aufbruchs in verschiedenen arabischen Ländern hatte die angepeilte Umgestaltung der Staaten auch Syrien ergriffen. Hoffnungsfroh glaubten Reformer, Revolutionäre und Bürgerrechtler an einen Neuanfang nach Assad. Sie verlangten die Ablösung des diktatorischen Staatschefs, freie Wahlen und die Öffnung des Landes hin zu Toleranz und Demokratie. Heute sitzt Assad fester im Sattel denn je. Der Bürgerkrieg, in dem seine Armee auch mit Giftgas gegen die eigene Bevölkerung vorgegangen ist, hat das Land weitgehend zerstört und zerrissen. Kriegsverbrechen wurden auf allen Seiten begangen.

Kann man in diesen Vorhof der Hölle reisen, vor Ort recherchieren und mit den Menschen sprechen? Petra Ramsauer hat es mehrmals gewagt und ergreifende Reportagen geliefert. Die Autorin beginnt ihr Buch mit dem Rückblick in die Geschichte, als nach Ende des Ersten Weltkrieges und dem Untergang des Osmanischen Reiches 1918 der Nahe Osten aus dessen Erbmasse vom Westen neu geordnet wurde. Syrien wurde am Reißbrett konzipiert. Seit 1923 war es französisches Mandatsgebiet ohne Rücksicht auf gewachsene Stammesstrukturen oder kulturelle Eigenheiten. Seit dieser Zeit trennen Staatsgrenzen eine einst kulturell eng verwobene Bevölkerung.

Der IS will die Geschichte mit Gewalt korrigieren. Bezeichnenderweise hatte IS-Führer Bakr al Baghdadi Ende Juni 2014 sich in Mossul zum Kalifen eines neuen islamischen Staates proklamiert. Seine Botschaft: Die "künstlichen" Nationalstaaten der Region sollen von den Landkarten verschwinden, und es soll ein geeintes islamisches Großreich entstehen. Das erklärt zum Teil den Furor, mit dem der IS im Syrien-Konflikt wütet. Andere Gruppierungen mögen weniger größenwahnsinnig in ihrem Vorhaben sein. Opfer sind immer die Menschen. Mehr als 500.000 Tote hat der Krieg bisher gefordert, über eine Million Menschen sind schwer verletzt, und mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist vertrieben. Dazu kommt die gezielte Zerstörung von unwiederbringlichen Kulturdenkmälern.

Ramsauers Buch ist verdienstvoll, weil es den Konflikt aus der Geschichte heraus erklärt, ohne in trockene Wissenschaft abzugleiten oder die persönlichen Schicksale in den Hintergrund rücken. Sie beschreibt, wie ein schonungsloser Luftkrieg und Hunger als Waffe gegen die Menschen eingesetzt werden. Und dann stellt sich die Frage, hat Syrien nach all den Gräueln und Zerstörungen und den unterschiedlichen Interessender Kämpfenden als Staat eine Zukunft? Doch die ist im Augenblick eher eine Beschwörung von Hoffnung. Syrien ist bereits in viele Teile und Machtbereiche zerfallen. Syriens Zukunft als Einheitsstaat ist ungewiss.

(RP)
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