Die Weltgeschichte Südosteuropas

Der Balkan kann ohne Einmischung von außen demokratisch werden.

In die Weltgeschichte stellt Marie-Janine Calic Südosteuropa. Das mag in Westeuropa, wenn es sich als Ausgang der Weltgeschichte betrachtet, aufstoßen. Von hier folgt das Interesse an Südosteuropa eher engen Urteilen, als Hort "schlechter Nachrichten" und von Korruption. Aus "dummerweise" in die EU aufgenommenen Staaten kommen lästige Zuwanderer. Alle Staaten Südosteuropas, so wie Calic es umfasst, haben 62 Millionen Einwohner. Davon sind 44 Millionen bereits in der EU. Es warten noch 18 Millionen.

So kann Calics Buch als eine weltgeschichtliche Erklärung von "Weltreichen" gesehen werden, die ihre Konflikte in Südosteuropa austrugen, es als Bezugsquelle von Menschen und Ressourcen benutzten. Dabei überwindet Calic die Verengung auf Nationalgeschichte und stellt globale Zusammenhänge dar.

Der erste Satz des Buches hat einen fatalen Bezug zur Gegenwart: "Am Anfang war Alexander der Große." Griechenland und das postjugoslawische Mazedonien streiten um das griechisch-römische Namenserbe. Sie beweisen, wie wenig sie damit für ihre europäische Integration anzufangen vermögen. Ihnen gegenüber ist die Herablassung Westeuropas, für die Rom ein EU- begründendes Narrativ ist, gleichermaßen fragwürdig. Ebenso wird das christliche EU-Narrativ verengt. Die Christianisierung erfolgte in Südosteuropa Jahrhunderte vor der Nordwesteuropas. Und so begannen mit dem Schisma zwischen Rom und Byzanz dort auch die Religionskonflikte früher. Die Slawen, die seit dem 6. Jahrhundert Südosteuropa besiedelten, wurden durch diesen Konflikt in europäische Geschichte integriert. Ihr historisches Schicksal war, dass seit dem 14. Jahrhundert die christliche Dominanz durch das islamische Osmanische Reich verdrängt wurde.

Die osmanische Herrschaft war bei allen grausamen Machtansprüchen und Ausbeutungen vergleichsweise multikulturell. Und sie stand in der globalen Auseinandersetzung mit den in Europa bestimmenden Imperien. Das Osmanische Reich orientierte sich nach Osten, das konkurrierende Habsburg strebte nach Amerika. Von Nordamerika und von Frankreich gingen Revolutionen aus, in Südosteuropa bedeuteten sie Befreiung von osmanischer Herrschaft. Dabei zog slawische Verbundenheit Russland herein. Von 1870 bis 1913 instrumentalisierten England, Frankreich, Deutschland, Habsburg und Russland südosteuropäische Nationalismen. Die Antagonismen zwischen ihnen führten in die Weltkriege. Die Entfremdung vom westlichen Europa besorgten dann ab 1945 Aufbau und Praxis des Kommunismus, wobei Tito in Jugoslawien zeigte, dass die Ablösung von einer Weltmacht möglich war.

In die Globalgeschichte integriert Calic sozioökonomische und kulturelle Entwicklungen. Für sie kann Südosteuropa vom Schauplatz der Weltgeschichte zur gleichgeachteten Region werden durch demokratische Staatsbildung, Überwindung nationalistischer Zersplitterung und durch europäische Integration. Mein Blick zeigt allerdings, dass die USA wie Russland sich in die kleinen Staaten einzumischen belieben und religiöse Machtansprüche die von den Osmanen islamisierten Bevölkerungsgruppen zu beeinflussen suchen. Helfen kann nur ein Selbstverständnis Europas, das die griechisch-römischen wie christlichen Geschichtsnarrative auch auf Südosteuropa bezieht.

(RP)
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