Hanna Die Zukunft gehört den Frauen

Hanna · Sie sind flexibler, ehrgeiziger, belastbarer als Männer, reagieren besser auf die Anforderungen der Zeit. Darum werden Frauen sich langfristig als das stärkere Geschlecht erweisen, ist die These der Amerikanerin Hanna Rosin.

Frauen verdienen weniger als Männer. Sie putzen noch immer das Bad, arbeiten Teilzeit, übernehmen den größeren Anteil bei der Kinderbetreuung und stoßen auf dem Weg zu den echten Spitzenposten an die gläserne Decke. Alles wahr. Was aber, wenn das nur die Ausläufer der alten Zeit wären? Wenn die lange Epoche zu Ende geht, in der Männer der ersehnte Erstgeborene, das starke Familienoberhaupt, der coole Western-Cowboy waren? Was, wenn die Männer abdanken, ohne es zu merken?

Dafür gibt es viele Anzeichen: Mädchen sind die besseren Schülerinnen, sie sind fleißiger, lesen und lernen auch ohne Druck, sind seltener Sitzenbleiber, gehen seltener auf die Hauptschule. Auch in den Naturwissenschaften – lange Zeit Jungsdomäne – holen sie auf, seit sie kapiert haben, dass Physik nicht männlich ist. Immer mehr Frauen gehen an die Uni. 1995 haben sie in Deutschland die Zahl der männlichen Kommilitonen erstmals überflügelt. Frauen sind pragmatisch, effizient, handeln leistungsorientiert. Sie besitzen soziale Intelligenz, Kommunikationstalent und haben von den Männern gelernt, sich durchzusetzen. Das macht sie zu guten Führungskräften, und das wollen sie inzwischen auch sein.

Dazu erweitern Frauen beständig ihr Terrain, werden Pilotinnen, Jägerinnen, fliegen zum Mond, leben seit der sexuellen Revolution auch ihr Liebesleben selbstbestimmt. Männer beobachten das passiv. Verändern sich viel weniger, erobern keine neuen Domänen, sondern sehen den alten beim Verschwinden zu. Nur vereinzelt wagen sie sich mal als Erzieher in eine Kita oder adaptieren weibliche Strategien, um ihre Abteilungen zu leiten.

Doch bei beiden Geschlechtern setzt sich die Ahnung durch, dass die Zukunft den Frauen gehören könnte: In den USA fragt die Regierung künftige Eltern regelmäßig, welches Geschlecht sie sich für ihr Kind wünschen. 2010 sagten 36,3 Prozent: lieber ein Mädchen, 29,1 wünschten sich einen Sohn, der Rest hatte keine Vorlieben. Bei den befragten Männern war das Ergebnis noch markanter: Nur 23 Prozent wünschten sich einen Sohn, 42,6 Prozent ein Mädchen. Es ist nicht mehr von Nachteil, Frau zu sein. Eher scheint die weibliche Sozialisation für die Zukunft besser zu rüsten. Bildungsforscher bringen es auf diese Formel: "Die Welt ist verbaler geworden; die jungen Männer nicht."

Die Autorin Hanna Rosin will in den USA sogar Regionen ausgemacht haben, in denen sich Männer aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen haben. In diesen Kleinstädten werden die Passagen, Supermärkte, öffentlichen Parks von Frauen und deren Kindern bevölkert. Männer gehen höchstens zum Sport, kumpeln in der Kneipe und lieben Computerspiele, mit denen sie sich in ein Zimmer verkrümeln können, ohne fürchten zu müssen, dass etwas Unvorhergesehenes passiert.

Darum gibt es immer mehr Frauen, die sich – frohlockend oder frustriert – lieber allein durchs Leben schlagen. Man findet sie in allen sozialen Schichten bei unterschiedlichen Rollenentwürfen, als Karrierefrauen, Bildungsaufsteigerinnen oder alleinerziehende Mütter – Alphafrauen, jede auf ihre Art.

Rosin hat dieses Phänomen beobachtet und sich dann wie eine Soziologin an die Recherche gemacht, hat Interviews mit jungen Frauen und Männern diverser sozialer Schichten geführt und versucht herauszufinden, was sich in der Gesellschaft verschoben hat – zum Vorteil der Frauen.

In ihrem Buch "Das Ende der Männer" zeichnet sie keineswegs ein rosiges Bild von ihren Geschlechtsgenossinnen, entwirft kein feminines Utopia, kein fröhliches Matriachat. Ihr Buch ist keine triumphierende Streitschrift. Rosin ist machtgierigen Karrierefrauen und einschüchternden Supermüttern begegnet, Frauen, die spezifisch männliche Stärken nicht mehr erkennen, auf ihre Männer herunterblicken oder sich gleich von ihnen trennen. Sie nennt diese Alleskönnerinnen "Mutantinnen", die sich perfekt auf die Anforderungen in der kapitalistischen Gesellschaft eingestellt haben, turboangepasst, immer am Leistungslimit, oft unglücklich – aber erfolgreich. "Die Mutantin ist ein Mensch, der die alten weiblichen und männlichen Pflichten gleichzeitig erfüllt, ohne dabei irgendwie kürzerzutreten", schreibt Rosin. Dieser Typus werde von der Gesellschaft am meisten belohnt.

Die Journalistin beschreibt den Aufstieg der Frauen zusammen mit Phänomenen wie der Erosion der Institution Ehe oder dem Zynismus, mit dem viele moderne Frauen über Partnerschaft sprechen. Ausführlich beschreibt sie etwa das "Hook-up"-Verhalten, die Abschleppkultur an amerikanischen Elite-Unis. Von der sexuellen Befreiung ist eine Art Wettkampf unter Studenten übrig geblieben, Kommilitoninnen für unverbindlichen Sex zu gewinnen. Frauen gehen darauf ein, weil sie es genießen, umworben zu sein, und ihre Macht spüren, Männer abzuweisen, wenn sie wollen. Irgendwann setzt aber Frustration ein, wenn Frauen dann doch Beziehungen wollen, an eigene Kinder denken, Männer aber auf keinen Fall Verpflichtungen eingehen wollen. Rosin zitiert amerikanische Studien, die zeigen, dass sich ehrgeizige Studentinnen an den Elite-Hochschulen "ein Herz aus Stahl" zulegen, um auf keinen Fall verwundbar zu erscheinen. Insgeheim aber hoffen sie doch auf den einen, der ihnen privates Glück bescheren wird. Die Erwartungen an diesen einen sind dann derart hoch, dass frustrierte Singles übrigbleiben.

Pragmatischere Frauen finden einen Partner, stellen aber oft nach der Familiengründung fest, dass sie sich doch allein um Kinder und Haushalt kümmern müssen, manchmal auch noch um den Gatten, der nicht erwachsen werden will. Dann ziehen sie es vor, alleinerziehend zu sein. Es ist nicht mehr die alte Geschichte von Frauen, die dominanten Männern hilflos ausgeliefert sind. Doch in Zeiten, da Frauen besser ausgebildet sind als Männer, immer besser verdienen, sich nicht mehr nur am Herd verwirklichen wollen, werden Partner, die mithalten können, knapp.

Rosin beschreibt amerikanische Verhältnisse. Sie erzählt von Männern, die während der Finanz- und Immobilienkrise Job und Haus verloren haben, bald auch die Autorität daheim, und von Frauen, die sich kein Selbstmitleid gegönnt, sondern sich lieber schnell auf die Krise eingestellt haben. Das alles lässt sich nicht ungebrochen auf Deutschland übertragen. Auch führt die Methode der Journalistin zu einseitigen Ergebnissen, weil sie eben keine Soziologin ist, die wissenschaftliche Standards einhält. Vielmehr sammelt sie in ihren Interviews Indizien für ihre Thesen. Empirische Befunde, die Gegenteiliges nahelegen, schlägt sie zu leichtfertig in den Wind. Die Tendenz ihres Buches aber gibt zu denken. Denn natürlich gibt es auch hierzulande diesen Zynismus aufstrebender Frauen, die sich selbst ausbeuten bis zur Erschöpfung, beruflich erfolgreich sind, privat oft weniger. Hierzulande rufen ihnen Feministinnen wie Bascha Mika ("Die Feigheit der Frauen") aber immer noch vorwurfsvoll zu, endlich wirklich Verantwortung zu übernehmen, statt über Diskriminierung zu jammern. Dabei kämpfen Frauen heute längst mit den sozialen Verwerfungen einer Emanzipation, die nicht den gleichberechtigten Umgang der Geschlechter zum Ziel hat, sondern den Sieg der Frauen im Geschlechterkampf. Und den erzielt, wer die Anforderungen im westlichen ökonomischen System am besten erfüllt. Am Ende steht nicht mehr Freiheit für Frauen und Männer, sondern ein Rollentausch.

Leider treibt Rosin ihre Studien nicht bis in diese Analyse. Empirie liegt der Journalistin näher als Abstraktion. Doch ihre Gespräche und Beobachtungen sind eine lesenswerte Bestandsaufnahme. An deren Ende steht die Einsicht, dass Frauen nach Jahrzehnten des notwendigen Ringens um mehr Freiheit umschalten müssen von Kampf auf Vision. Wenn die Zukunft den Frauen gehört, müssen die sich Gedanken machen, welche gesellschaftlichen Bedingungen sie verändern wollen. Unter denen leiden Frauen wie Männer.

Rosin: "Das Ende der Männer. Und der Aufstieg der Frauen", Berlin Verlag. 352 Seiten, 19,99 Euro

(RP)
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