München Drei Top-Dirigenten für München

München · Valery Gergiev, Kirill Petrenko und Mariss Jansons werden das Musikleben der Stadt bestimmen – und für Diskussionsstoff sorgen.

Valery Gergiev, Kirill Petrenko und Mariss Jansons werden das Musikleben der Stadt bestimmen — und für Diskussionsstoff sorgen.

In München werden Dirigenten seit je in regelmäßigen Abständen wie heilige Kühe durch die Stadt getrieben. Während in Berlin die Philharmoniker alle acht bis zehn Jahre eine Personalie am Pult bekanntgeben und Daniel Barenboim nun schon seit 20 Jahren an der Staatsoper weilt (und dort soeben bis 2022 verlängert hat), ist die Halbwertzeit für Pultstars in München deutlich kürzer. Woran liegt das? Tickt München anders? Und kann man von München womöglich lernen?

Die auf manchen musikalischen Gleisen unruhige Fahrt liegt natürlich am rigorosen Münchner Klima, das zuweilen Kunst erzwingen will, bar jeder Gelassenheit. Die Leute sind irgendwie leicht auf dem Baum, und wie das enden kann, hat man vor drei Jahren bei Christian Thielemann und den Münchner Philharmonikern erlebt. Es gab Zwistigkeiten, die absichtsvoll öffentlich ausgetragen wurden, und am Ende verkündete Thielemann, er gehe nach Dresden. Sieben Jahre — länger hielt man es nicht miteinander aus, es ist die Schicksalsfrist des Fliegenden Holländers.

Als das Dirigentenpult der Philharmoniker verwaist zu bleiben drohte, hatte der aus Bochum stammende Kulturdezernent Hans-Georg Küppers eine geniale Idee: Er reanimierte den steinalten Lorin Maazel (der in einem früheren Jahrhundert schon mal Chef beim benachbarten BR-Symphonieorchester war) und holte ihn als Interim-Boss zu den Philharmonikern. Maazel ließ sich auf den Deal ein, die Vergütung war mehr als luxuriös. So etwas geht nur in München, und es geht bislang immer.

In zwei Jahren bekommt Maazel einen nicht minder prominenten Nachfolger: Valery Gergiev, den Chef des St. Petersburger Mariinski-Theaters. Gergiev hatte ohnedies vor, seinen Zweitjob beim London Symphony Orchestra an den Nagel zu hängen; nun kommt er ins noble, mondäne München. Gergiev wird sich natürlich neben einem opulenten Salär eine opulente Freizügigkeit ausbedungen haben — jemand, der mit seinen drei Handys am Ohr sozusagen geboren wurde, wird auch von München die Strippen in die Welt ziehen.

Nicht unerwartet haben sich Kritiker der Personalie bereits zu Wort gemeldet: Gergiev sei ein Schaumschläger, der außer Russen wenig bis gar nichts könne; Stil besitze er kaum, und einen vernünftigen Beethoven habe man noch nie von ihm gehört. Gergiev macht sich aus derlei Animositäten wenig, der Mann ist robust und steckt was weg. Sein permanenter Drei-Tage-Bart zeigt ihn uns als einen — leicht mit dem Unzivilisierten kokettierenden — Herrn Ende 50, der vielleicht etwas gesünder leben und weniger dirigieren sollte. Andererseits: Gergiev brennt, er kann nicht anders. Und wer weiß, vielleicht kann er sogar Beethoven.

Sieben Jahre nur werden auch Kent Nagano im Sommer als musikalischem Chef der Bayerischen Staatsoper beschieden sein; schon vor Jahresfrist hatte ihm Intendant Klaus Bachler angekündigt, dass die Zeit seines Abschieds sehr bald kommen werde. Sein Nachfolger wird der 40-jährige Kirill Petrenko sein. Der Druck auf Nagano hatte von Anfang an etwas Gnadenloses. Man lobte seine Moderne und prügelte seinen Wagner. Nagano war zu fein, als dass er die Schläge unter die Gürtellinie hätte ertragen wollen — jetzt darf sich Hamburg freuen, in ihm von 2015 an einen fraglos vielseitigen und hochmusikalischen GMD zu bekommen.

Aber Petrenko ist natürlich ein Pfund. Fünf Jahre war er Chefdirigent an der Komischen Oper in Berlin, zwei Mal wurde er von den Kritikern der Zeitschrift "Opernwelt" zum Dirigenten des Jahres gewählt. Vor eineinhalb Jahren faszinierte er bei der Ruhrtriennale mit einem "Tristan", bei dem man den Atem anhielt; die Duisburger Philharmoniker spielten wie unter Droge. Und jetzt, im kommenden Sommer, wird er Wagners "Ring des Nibelungen" bei den Bayreuther Festspielen dirigieren. Wo Petrenko auftritt, sind die Leute wie hysterisiert; unüblich ist allerdings, dass er im Juli bei den Münchner Opernfestspielen jetzt und in den kommenden Jahren durch Abwesenheit glänzt — weil er ja zeitgleich in Bayreuth arbeitet. An der Staatsoper muss man akzeptieren, dass Bayreuth nun halt auch im Freistaat liegt.

Ganz ruhig und künstlerisch außerordentlich ertragreich arbeitet dagegen der nunmehr 70-jährige Lette Mariss Jansons am Pult des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Seit 2003 ist er dort, und wenn er nicht gerade Herzprobleme hat und für Monate ausfällt, nutzt er die kurze Strecke zwischen München und Amsterdam (wo er das grandiose Concertgebow Orchestra leitet), um Partituren zu lernen. Jansons gilt als Künstler mit hohem Ethos, als Animateur mit hinreißender Kompetenz, der Musik stets eine menschliche Dimension lässt. Für diese Qualifikation wird er im Juni den mit 250 000 Euro dotierten Ernst-von-Siemens-Musikpreis bekommen, sozusagen den Nobelpreis der Musik.

Jansons kann sich in aller Ruhe anschauen, wie sich Petrenko und Gergiev in München ein russisches Nahduell liefern. Überleben werden es alle Beteiligten. Aber nur sieben Jahre. Danach pustet sie der Münchner Föhn wieder in alle Richtungen, das Karussell dreht sich erneut — und die Entschwindenden werden seufzen und feststellen, dass diese Stadt für Dirigenten beides ist: Paradies und Schlangengrube.

(RP/nbe)
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