Du sollst nicht langweilen!

Was eine gute Predigt ist, können immer nur jene beurteilen, die ihr zuhören. Auch das hat uns ermutigt, den jüngst vergebenen Deutschen Predigtpreis zum Anlass zu nehmen, sieben Gebote für eine gute Predigt aufzustellen.

Wir alle dürften sie in jungen Jahren schon einmal zu hören bekommen haben - eine ordentliche Predigt. Und weil dies in aller Regel im familiären Kreis geschah, wurde sie in leicht heimelnder Färbung Gardinenpredigt genannt. Auch sie diente - obgleich im profanen Sinne - dazu, dem Zuhörer "viele böse Geister auszutreiben", wie es im Markus-Evangelium über das Predigen heißt. So eine gut gemeinte "Geisteraustreibung" kann für alle Zuhörer eine recht spannende und für den direkt Angesprochenen auch eine heikle Sache sein. Von solcher Brisanz ist in manchen Gottesdiensten nicht viel zu spüren.

Dabei steht die Predigt von Anfang an im Zentrum christlicher Verkündigung. Allerdings mit unterschiedlichen Gewichtungen: Während in der evangelischen Kirche die Bibelauslegung Mittelpunkt des Gottesdienstes ist, wird sie bei den Katholiken der Eucharistie untergeordnet. Vielleicht ist es darum nicht verwunderlich, dass jüngst in Bonn ein evangelischer Pfarrer den ökumenischen Deutschen Predigtpreis bekam: Andreas Brummer. Unter dem Titel "Ein Mann will nach unten" predigte der in Hannover tätige Geistliche über die Menschwerdung Gottes.

Was aber macht ein gute, vielleicht glänzende Predigt aus? Diese Frage haben wir keinem Theologen und keinem Prediger gestellt, sondern lediglich uns, den einfachen Gottesdienstbesuchern, denen es nicht gleichgültig ist, was ihnen gepredigt wird.

1. Du sollst nicht schwafeln! Mancher Prediger kehrt den Theologen heraus und gelangt in seiner Ansprache auf metaphorische Ebenen, die nur wenige Gottesdienstbesucher interessieren. Solche Betrachtungen fallen meist zu lang aus. Der Spruch "Da darfst über alles predigen, nur nicht über fünf Minuten" sollte an jede Kanzel genagelt sein, damit es nicht zum Geschwafel kommt. Der Proviant, den der Hörer mitnehmen soll, muss keine Aufforderung beinhalten ("Lassen wir den Herrn in unser Herz hinein!"). Wer in nur fünf Minuten die kollektive Nachdenklichkeit seiner Hörer bewirkt, erreicht mehr.

2. Du sollst nicht unterfordern! Metaphern helfen, Gedanken anschaulich auszudrücken; Bilder bleiben im Gedächtnis. Darum ist die Bibel voller Bilder und in Kindergottesdiensten gern vom Samenkorn die Rede, das sterben muss, um Frucht zu bringen. Oder vom Weinstock und den Reben. Wenn Prediger aber zu Erwachsenen sprechen, dürfen sie aus Metaphern und Gleichnissen ruhig mal einen abstrakten Gedankengang entwickeln. Erwachsene verstehen das. Kirchgänger sind nämlich Menschen, die auch sonst in ihrem Alltag in komplexen Zusammenhängen denken müssen. Und das vielleicht sogar erfrischend finden. Wer solchen Zuhörern kindisch kommt und simple Geschichtchen ewig auswalzt, meint es sicher gut, signalisiert aber vor allem eins: dass er seine Zuhörer nicht ernst nimmt.

3. Du darfst persönlich werden! Natürlich soll ein Pastor seine Schäfchen nicht mit Banalitäten aus dem Pfarrhaus belästigen - das wäre profan im schlechtesten Sinne: eine Predigt, die mit Geistlichem nicht mehr viel zu tun hat. Bibelauslegung lebt nicht zuletzt davon, dass sie vom Buchstaben der Schrift ebenso abstrahieren kann wie von der Wirrnis des Alltags. Trotzdem dürfen und sollen sich Predigten mit persönlichen Dingen beschäftigen - ohne Schnittmenge der eigenen Erfahrungen mit dem theologischen Gegenstand aber geht es nicht.

"Menschen nehmen wahr, dass wir authentisch reden, dass unsere Äußerungen mit unserem Leben zusammenhängen", hat der frühere EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider unlängst auf die Frage geantwortet, warum er und seine krebskranke Frau das Thema Sterbebegleitung zum Gegenstand öffentlicher Erörterungen gemacht haben. Das kann nur, wer tatsächlich von Erlebtem spricht. Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt - das Jesus-Wort gilt auch für Persönliches in der Predigt.

4. Du sollst frei sprechen! Kaum etwas ist so gefährlich wie die freie Rede. Praktisch in jedem Satz kann etwas passieren, das später lang und breit erklärt oder sogar korrigiert werden muss. Wer frei redet, macht sich angreifbar. Das möchte niemand, und erst recht nicht bei einer so sensiblen Sache wie der Auslegung von Gottes Wort. Diese Sorge aber kann lähmend sein und am Ende zu einer Reihe zwar bestformulierter, aber inhaltsarmer Sätze führen. So etwas lässt sich dann nur ablesen, und wer aufs Papier schaut, blickt nicht zur versammelten Gemeinde. Das ist keine Ansprache, sondern eine Vorlesung. Wie vital aber ist es, wenn frei und mit Leidenschaft gepredigt wird! Und wer das wagt, dem wird gerne verziehen, sollte er sich verhaspeln oder gerade nicht die passende Formulierung parat haben. Die freie Rede dokumentiert physische und intellektuelle Präsenz.

5. Du sollst nicht langweilen! Auch eine Predigt sollte ein literarischer Text sein - ein Text mit einem Spannungsbogen, der die Zuhörer daran hindert, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen, während der Prediger sein Publikum doch fesseln will. Eine spannende Predigt ist eine, der es gelingt, die oft zitierten, hinreichend bekannten Stellen aus der Bibel in einem neuen Licht erscheinen zu lassen. Und wenn es zwischendurch etwas zu schmunzeln gibt, erhöht das die Aufmerksamkeit. Wenn schließlich die Familie daheim noch einmal über die Predigt spricht, hat der Pfarrer vollends einen guten Job gemacht.

6. Du sollst wirken! Ob der Prediger eine gute Predigt gehalten hat, lässt sich nur in den seltensten Fällen am Ende der Messe eindeutig beantworten. Denn erst, wenn der Kirchgänger wieder daheim ist, die Sonntagsschuhe ausgezogen und den Mantel an den Kleiderhaken gehängt hat, wird er tatsächlich ein Urteil darüber fällen können, inwiefern die Predigt Wirkung bei ihm erzielt hat. Schwirren dem Gläubigen dann noch immer die Worte des Pastors im Kopf herum? Beschäftigt er sich mit dem Thema, das im Gottesdienst angesprochen wurde? Sollte er diese Fragen mit ja beantworten können, dann war die Predigt ein Erfolg.

7. Und denke an die Gegenwart! Wie würden die Personen, die in der Bibel beschrieben sind, heute handeln? Wie verliefe ihr Leben, wenn sie statt in Kleinasien in Düsseldorf oder am Niederrhein geboren wären? Und wie lässt sich die Lehre aus einem Gleichnis von damals auf unsere Zeit beziehen? Eine Predigt soll kein Pamphlet sein, aber politisch Stellung beziehen aus christlicher Position - das sollte sie schon. Viele Prediger flüchten sich in wissenschaftliche Interpretationen und vergessen, was das Publikum hören will: eine frohe, ganz und gar gegenwärtige Botschaft.

(RP)
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