Frankfurt/Main E-Books erobern Welt der Bücher

Frankfurt/Main · Gestern wurde die 64. Frankfurter Buchmesse eröffnet. Nach Umsatzrückgängen in den vergangenen Jahren hofft die Branche verstärkt auf digitale Literatur. Ihr Anteil am Gesamtumsatz könnte zum Jahresende bereits drei Prozent betragen. Sorgenkind bleibt indes der Buchhandel.

Seien wir ruhig einmal ungerecht und geben den Totengräbern unserer schönen alten Bücherliteratur einfach einen Namen. Zum Beispiel Christiane Frohmann aus Berlin. Die ist Literaturwissenschaftlerin und obendrein Verlegerin. Mit richtigen Büchern aber hat dieser Job nicht mehr viel zu tun: "eriginals berlin" heißt ihr Laden und publiziert ausschließlich E-Books, ein lupenreiner Digitalverlag also. Gut 20 Titel sind bereits erschienen, und das Herz der Leserin blutet noch immer nicht. Weil die Welt der Literatur, sagt Frohmann, "doch erst zwischen Träger und Gehirn entsteht".

Frohmann ist im Jahre 562 nach Johannes Gutenbergs Erfindung nicht die alleinige Vorreiterin auf dem Weg in eine überwiegend digitale Lesewelt; sie ist vielleicht nur etwas radikaler als andere. Denn auch Publikumsverlage haben das E-Book längst als neue Einnahmequelle sehr wohl schätzen gelernt. Bei Lübbe etwa finden sich augenblicklich rund 1900 Titel im Digitalprogramm. Neun Prozent haben die E-Books zum Gesamtumsatz des Verlags schon beigetragen, und wem das noch zu gering erscheint, sollte das enorme Entwicklungspotenzial des Mediums bedenken. So steigerte sich bei Lübbe der E-Book-Verkauf im Vergleich zum Vorjahr um sagenhafte 313 Prozent!

Das lässt auch andere Verlage nicht ruhen und so gibt es inzwischen bei Rowohlt, Droemer knaur, DuMont und vor allem Kiepenheuer & Witsch neben den zusätzlichen Digitalvarianten auch Titel, die nur elektronisch publiziert werden. "e only" nennt man das in der Branche und führt zu neuen Produktnamen wie "Kiwi eBook extra" – unter anderem mit einem Nick Hornby-Titel – oder "Rowohlt Digitalbuch Plus". Und wenn auch in der Literatur der Hunger mit dem Essen kommt, so dürfte der Aufwärtstrend weiter an Vitalität gewinnen. Denn schon jetzt haben nach einer Studie des Börsenvereins die Hälfte aller Verlage E-Books im Programm; 90 Prozent wollen es zukünftig sein.

Komisch bei all dem ist nur, dass bereits jetzt so viel Bohei gemacht um ein Produkt mit nach wie vor mickriger Marktrelevanz. Im vergangenen Jahr betrug der Umsatz mit E-Books nicht einmal 100 Millionen Euro. Und das ist gerade ein Prozent des Jahresumsatzes der gesamten Branche. Aber auch hier gilt: Die Perspektive lässt Verlegeraugen leuchten. Zur Eröffnung der Buchmesse in Frankfurt, schätzte Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, dass sich die E-Book-Umsätze auch 2012 wenigstens verdoppeln werden – auf zwei, vielleicht sogar drei Prozent. Wohin diese Reise geht, weiß noch niemand. Doch im Zweifelsfall schauen dann alle nach Amerika, wo die digitale Literatur nunmehr einen Anteil von 15 bis 20 Prozent erobert hat. Dass der Aufwärtstrend dort momentan deutlich schwächer wird, zeigt indes auch, bei welcher Größenordnung derzeit vielleicht eine Marktsättigung erreicht ist.

Ohnehin ist jede Umsatzsteigerung in der seit wenigen Jahren permanent schwächelnden Buchbranche ein Ereignis. Auch 2001 sank der Umsatz um zwei Prozent und lag 2011 bei 9,6 Milliarden Euro. Die digitale Welt der Literatur wird die analoge ergänzen, sagte gestern Honnefelder. Und wer gestern vor der Eröffnung der weltgrößten Bücherschau die unermesslichen Weiten der Messehallen durchwanderte und dabei die Verlagsmenschen beim emsigen Aufbau ihrer Kojen und dem Einsortieren ihrer Neuerscheinungen beobachtete, durfte noch an ein gutes und heiles Gutenberg-Universum glauben.

Die Hoffnung aufs E-Book ist dennoch getrübt. Denn während die Verlage durchaus und völlig zu Recht im Digitalen neue Absatzchancen sehen, sieht es beim sogenannten stationären Buchhandel mau bis schwierig aus. Natürlich versuchen auch sie, mit der Zeit mitzugehen. So bieten jetzt schon 65 Prozent aller Buchhandlungen E-Books und E-Books-Reader an. Allerdings ist die Nachfrage dort nicht schrecklich groß. Wer einmal auf digitalen Pfaden unterwegs ist, bedient sich dann oft auch gleich im Internet – und das auf zwei Vertriebswegen: entweder im Online-Handel, der 2011 um fünf Prozent zulegte und jetzt bei einem Anteil am Gesamtumsatz von 14,8 Prozent angekommen ist, oder im Direktgeschäft der Verlage (plus 1,7 Prozent bei 19,1 Prozent Anteil am Gesamtumsatz). Den Buchhandlungen wird es schlechter gehen, und besonders betroffen sind davon die Schreckgespenster von früher: die großen Ketten.

Was bleibt, sind Appelle wie diese: Kultur, so Gottfried Honnefelder gestern, entstehe "stets in der Wechselwirkung ihrer Medien und ihrer Verbreitung". Und darum komme der Vertrieb von Literatur und Kultur ohne neue politische Rahmenbedingungen nicht aus. Mit dem Preisbindungsgesetz sowie dem halben Mehrwertsteuersatz auf Bücher sei es nicht getan, so der Vorsteher. Was ihm darüber hinaus vorschwebte, behielt er demonstrativ für sich.

Die Branche wächst, die Branche schwächelt. Doch noch können die steigenden Umsätze im digitalen Bereich den anhaltenden Rückgang auf dem "analogen" Markt nicht ausgleichen, sagt Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins. Frankfurt steht also im Zeichen des Umbruchs, und das dies spurlos an der noch riesigen Messe vorübergehen wird, glaubt keiner.

Aber es kommt vor allem auf die Leser an. Und die greifen beherzt zu: 120 000 Downloads allein für das E-Book von "Shades of Grey". Das aber hat nicht nur technische Gründe. Weil erotische Romane – im besagten Fall auch mit sadomasochistischer Neigung – gerne elektronisch bezogen werden. Ihr Kauf ist deutlich anonymer.

(RP)
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