Ein Kampf um Rom

Im Vatikan tagt die Bischofssynode. In der öffentlichen Wahrnehmung steht vor allem der Umgang mit Geschiedenen und Homosexuellen im Vordergrund. Aber es geht um viel mehr.

Die Zukunft der katholischen Familie umfasst 44 Seiten. So dick (oder doch eher dünn?) ist die Beratungsgrundlage für die "14. ordentliche Generalversammlung der Weltbischofssynode" zum Thema Familie, die derzeit in Rom tagt. Die 44 Seiten bestehen aus der Vorarbeit der Bischofssynode vom vergangenen Jahr, ergänzt um Rückmeldungen aus aller Welt. "Instrumentum laboris" heißt das Ganze, was auf Latein zunächst einmal nur schlicht "Arbeitsmittel" bedeutet. Man kann es aber auch als "Werkzeug der Mühsal" übersetzen - die Doppelbedeutung von "labor" gibt das her.

Es wäre nicht einmal eine besonders tendenziöse Übersetzung, denn die drei Wochen in Rom (eine ist bereits absolviert) dürften überaus mühselig werden. Es gilt für die insgesamt 359 Kardinäle, Bischöfe, Priester und Experten, sich auf ein Abschlussdokument zu einigen, das dann wiederum Entscheidungsgrundlage für Papst Franziskus sein soll. Die Vorstellungen der Teilnehmer gehen weit auseinander, was unter Familie zu verstehen ist. Die Aspekte des Themas reichen von Trauerarbeit über Priesterausbildung bis zu Fragen der Adoption. Teilnehmer erklären bereits jetzt, dass die Synode völlig überfordert ist. Zu erwarten sei bestenfalls ein geistlicher Lernprozess.

In der Öffentlichkeit, zumindest der europäischen und amerikanischen, werden derzeit vor allem die heiklen moraltheologischen Fragen des Umgangs etwa mit Homosexuellen diskutiert und das seelsorgerliche Problem, wie mit wiederverheirateten Geschiedenen zu verfahren sei - nach kirchlicher Lehre sind sie von der Kommunion ausgeschlossen, weil sie in Sünde leben.

Zweifellos sind das auch in Rom wichtige Themen; es geht aber um viel mehr. Die Moraltheologie wirft zum Beispiel ein ganz grundsätzliches Problem auf - Marx (nicht der Münchner Kardinal, sondern der Philosoph) hätte es so zusammengefasst: Bestimmt das Sein das Bewusstsein oder umgekehrt? Oder auf Katholisch: Hat sich das Leben nach der Lehre zu richten oder die Lehre nach dem Leben? Zumindest in Deutschland wird von Rom sehnlich erwartet, was man der evangelischen Kirche gern vorwirft: Bewegung, Reaktion auf die Zeitläufte, Anpassung an die Realität.

Reformer wie der Wiener Kardinal Christoph Schönborn haben genau das von der Synode gefordert. Man dürfe nicht "die objektiven Kriterien beseiteschieben", müsse aber auch die im Glaubensleben begleiten, die in einer zweiten oder gar dritten Ehe zum Glauben gefunden hätten, sagte er der Jesuiten-Zeitschrift "Civiltà Cattolica". Die Gegenposition formuliert das synodale Arbeitspapier selbst: Um die Krise der klassischen Familie zu überwinden, sei "vonseiten der ganzen Gesellschaft ein struktureller Perspektivwechsel erforderlich", heißt es dort.

Das zweite Problem hängt damit eng zusammen: In wie vielen Farben schillert das Leben des Gottesvolks? Folgt man den Konservativen, lautet die Antwort: in Weiß und Schwarz, Gut und Böse. Es gebe keine Abstufung bei der Beurteilung außerehelicher Beziehungen, sagte zur Eröffnung der Synode der ungarische Kardinal Péter Erdö. "Gradualität" sei nur subjektiv möglich, in der Annäherung an die Wahrheit. Da klingt der Münchner Erzbischof Marx schon ganz anders, der feststellte, generelle Lösungen beim Umgang mit Geschiedenen könne es nicht geben. Sein Berliner Kollege Heiner Koch sagte, Geschiedene sollten in Einzelfällen die Kommunion empfangen dürfen.

Bedenkenswert sind zudem die sehr verschiedenen Ausgangslagen in den einzelnen Ländern. Sehr fern mutet etwa der Streit über die wiederverheirateten Geschiedenen in Deutschland an, wo die Zahl derjenigen dramatisch abnimmt, die überhaupt an der sonntäglichen Eucharistie teilnehmen. Darüber hinaus streben immer weniger Paare eine kirchliche Hochzeit an. Einige Fragen der Synode beschreiben Probleme, die an der Lebenswirklichkeit der Menschen hierzulande vorbeigehen. Eine Folge davon ist ein eklatantes Kommunikationsproblem; schlichter gesprochen: Kirchliche Äußerungen in der eingeübten Sprache werden heute kaum noch verstanden.

Dass sich die Bischöfe nicht einmal allesamt im Klaren über die Feinheiten der geltenden Lehre sind, offenbarte sich im vergangenen Jahr: Damals verfehlte die Formulierung im Schlussbericht der Synode, Homosexuellen sei "mit Achtung und Feingefühl" zu begegnen, eine Zweidrittelmehrheit. Dabei steht das fast wortgleich im katholischen Katechismus.

Der dritte Punkt schließlich treibt die Kirche seit Jahrhunderten um: Wie will, wie soll sie geführt werden? Im späten Mittelalter gab es (unvorstellbar heute!) eine Zeit, in der Konzilien, also Bischofsversammlungen, erfolgreich höchste Autorität für sich beanspruchten und sogar einmal, in Konstanz 1415, gleich zwei Päpste absetzten. Seit dem 16. Jahrhundert ist die katholische Kirche wieder eine streng zentralistische Organisation mit dem Papst als klarer Autorität. Auch die 2015er Synode hat eigentlich gar nichts zu entscheiden - danach befindet Franziskus (zumindest de jure) allein und frei über alle Beratungsfragen. Eine Synode sei "kein Kongress, kein Sprechzimmer, kein Parlament oder Senat, wo man sich ins Einvernehmen setzt", beschied der Papst selbst den Synodalen zu Beginn der Tagung.

(RP)
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