Ein Kunst-Ufo für die Wüste

In Abu Dhabi hat eine Dependance des Pariser Louvre eröffnet. Allein die Verwendung des Namens des berühmten Museums soll 450 Millionen Euro gekostet haben. Zu erleben sind Werke, die die Menschheitsgeschichte aus Sicht der unterschiedlichen Kulturen veranschaulichen.

Der Louvre, das französische Nationalmuseum in Paris, hat nun einen Zwillingsbruder am Persischen Golf. Der Louvre Abu Dhabi wurde soeben in der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate eröffnet. Es ist das "erste Universalmuseum der arabischen Welt", wie das Emirat voller Stolz betont. Zehn Jahre nach der Vertragsunterzeichnung zwischen den VAE und Frankreich ist das Bauwerk nach einem Entwurf des Pariser Stararchitekten Jean Nouvel fertig - fünf Jahre nach dem vorgesehenen Eröffnungstermin und zu offiziell nicht bestätigten Kosten von 600 Millionen Euro.

Der Bau bietet eine imposante Ansicht: Mit einem Durchmesser von 180 Metern wölbt sich eine flache, an ihrem höchsten Punkt 36 Meter hohe Kuppel über ein Ensemble aus 55 unterschiedlichen, miteinander verbundenen Gebäudeteilen, von denen 26 der Ausstellung von Kunstgegenständen aller Kulturen der Welt gewidmet sind. 300 hochrangige Kunstwerke als Leihgaben aus 13 staatlichen Museen Frankreichs, ergänzt durch eine eigene, mit einem jährlichen Ankaufsetat von mindestens 50 Millionen Euro wachsende Sammlung, sind in Abu Dhabi zu sehen.

Für die Verwendung des Markennamens "Louvre" auf 30 Jahre hat das Emirat angeblich 450 Millionen Euro entrichtet. Doch über die finanziellen Aspekte schweigen sich alle Beteiligten aus. Der Direktor des Golf-Ablegers, Manuel Rabaté (41), kommt direkt vom Pariser Louvre, seine Stellvertreterin ist die aus Abu Dhabi stammende Hissa Al Dhaheri. Die energische junge Frau zeichnet insbesondere für die Bildungs- und Vermittlungsprogramme des Museums verantwortlich.

Das neue Haus, so die Eigenwerbung, "lädt die Besucher ein, die Menschheit in einem neuen Licht zu sehen". In zwölf thematischen Galerien werden Werke unterschiedlicher Kulturen im Vergleich gezeigt. Als Spitzenstück der Leihgaben des Stammhauses gilt das Bildnis einer jungen Frau, genannt "La Belle Ferronière", gemalt um 1489 von Leonardo da Vinci oder möglicherweise seiner Werkstatt. Zu den Höhepunkten der Eröffnungsausstellung zählen ein chinesischer Buddha-Kopf des 6. Jahrhunderts ebenso wie ein Bronzekopf aus Benin im heutigen Nigeria, eine Madonna des Venezianers Giovanni Bellini um 1480 sowie Piet Mondrians "Komposition" von 1922. Eine Rarität ist die Bronzeskulptur eines Löwen aus dem maurischen Spanien der Zeit um 1100, mit dem ursprünglich das Gebrüll eines Löwen mechanisch imitiert werden konnte. Jüngst wurde ein Paar bemalter japanischer Wandschirme erworben, die den Ost-West-Handel mit portugiesischen Seefahrern um 1600 darstellen.

Zu den zwölf Themen der Galerien mit insgesamt 8400 Quadratmeter Ausstellungsfläche zählen "Weltreligionen", "Handelswege" oder "Die moderne Welt". Darin werden jeweils Objekte verschiedener Kulturen, aber möglichst gleicher Entstehungszeit zusammen gezeigt, um Vergleiche zu ermöglichen - und die Ähnlichkeiten der Menschheitsentwicklung hervorzuheben.

Das Kuppeldach ist der Clou des Gebäudekomplexes. Unter dem nicht sichtbaren, stählernen Tragwerk mit seinen vier äußeren Schichten aus Edelstahl liegen im Abstand dazu vier Schichten von Aluminiumstreben in Form von Drei-, Vier- oder Achtecken übereinander, die ein kompliziertes Muster von 7850 unterschiedlich großen Öffnungen ergeben. Durch sie fällt auf die Bauten und die Wege und Plätze zwischen ihnen, was Nouvel einen "Lichtregen" nennt: das gefilterte Licht der in der Golfregion an 360 Tagen des Jahres gleißenden Sonne. Nachts hingegen sollen die "Sterne" genannten Öffnungen mit künstlichem Licht nach innen wie nach außen strahlen.

Das Dach ist der Stolz des Architekten: Es liegt auf nur vier Stützen, die im Abstand von jeweils 110 Metern zueinander stehen. Nouvel war der Erste, der sich um eine zeitgemäße Interpretation islamischer Baukunst bemüht hat. Mit dem "Institut der Arabischen Welt" schuf er 1987 in Paris ein aufsehenerregendes Bauwerk, das mit den beiden Elementen spielt, die für Nouvel die Essenz der islamischen Architektur ausmachen: Licht und Geometrie.

Unter dem Dach sind die 55 kubischen Bauteile aus schneeweißem Spezialbeton entlang von "Straßen" und "Plätzen" wie in einer Medina angeordnet, der traditionellen Altstadt der islamischen Welt. Nouvel interpretiert sie als "Treffpunkte" für Menschen, die das Interesse an Kunst und Kultur eint. Durch die Öffnungen zum Meer weht eine beständige Brise, die auch jetzt noch die auf bis zu 34 Grad ansteigende Tagestemperatur erträglich macht.

Der Louvre Abu Dhabi ist das erste Bauwerk des kulturellen Gesamtprojekts auf Saadiyat Island, der eigens aufgeschütteten "Insel des Glücks". Sie ist das Herzstück eines auf mittlerweile 30 Milliarden Dollar geschätzten Entwicklungsvorhabens zur Erweiterung Abu Dhabis. Zugleich spielt der Tourismus wirtschaftlich eine immer größere Rolle. Für die Zeit nach dem Versiegen der Rohstoffquellen, auf dem der Reichtum von Abu Dhabi beruht, will sich die Hauptstadt der VAE als Kultur-Reiseziel positionieren. "Toleranz, Akzeptanz und kulturelle Verflechtung", nannte Mohamed Khalifa Al Mubarak am Dienstag als Ziele des Museums. Der 34-jährige Chef der Tourismus- und Kulturbehörde, die die Projekte auf der Insel Saadiyat steuert, bezeichnete das Museum als "eine Verbindung heutiger Modernität und unseres eigenen Erbes".

Noch liegt der Neubau am Rande der erst in jüngster Zeit in die Höhe gewachsenen Hauptstadt. Die Ziele, die das Emirat mit dem Louvre-Vorhaben verbindet, werden ohne deutliche Verbesserungen der Infrastruktur und die Entwicklung urbanen Lebens kaum zu erreichen sein - damit die flache Kuppel Jean Nouvels nicht, wie Spötter meinen, als Ufo am künstlichen Ufer strandet.

(RP)
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