Wien Ein Leben nur zum Dichten

Wien · Morgen feiert die große Autorin Friederike Mayröcker ihren 90. Geburtstag.

Für das, was Friederike Mayröcker schreibt, wird es einen passenden Begriff kaum geben. Und das ist - auch wenn es abgedroschen klingt - gut so. Weil all ihr Dichten und Schreiben und diese dem Dichten und Schreiben geschuldete Existenz unvergleichlich sind in der deutschsprachigen Literatur. Morgen wird die in Wien geborene und dort lebende Autorin 90 Jahre alt. Es finden sich aber viele schöne Umschreibungen für ihre Werke - einschließlich der aktuellen Neuerscheinung "Cahier": Notate oder Splitter, Fetzchen oder Poesieprosa. Aus diesen Fragmenten, in denen sich die Welt spiegelt, weil sie der Welt abgeschaut sind, spricht eine ungeheure und fast unstillbare Neugier. Manchmal gerät dies auch zur schonungslosen Selbsterkundung, die sie den "Bekenntnissen" von Kirchenvater Augustinus abgeschaut zu haben scheint und die sie bis zu den verstörenden Expeditionen des Alterns treibt.

Autistisch aber ist ihr Werk nie geworden. Es brauche immer eine Ansprache, immer ein Du, sagte sie einmal im RP-Gespräch. Und: "Für mich ist alles Dichten vielmehr ein langer Versuch, etwas festzuhalten; und oft gelingt dies leider nicht." Das hält Mayröcker nicht davon ab, es immer und immer wieder zu versuchen. Fast 100 Bücher sind es mittlerweile; ein Werk, gewebt aus Prosa, Romanen und hunderten von Gedichten, für das sie mit nahezu allen wichtigen deutschen Literaturpreisen bereits geehrt wurde.

Wer nach greifbaren und irgendwie nützlichen Erträgen dieser unermüdlichen Arbeit am Wort sucht, hat das Wesen der Poesie teilweise und das Werk der Mayröcker komplett missverstanden. Weil es manchmal eben nur auf das gelungene Wort und den geglückten Satz ankommt. Oder einfach nur um Schönes wie "lorbeergehuscht dieser Wolkenfrühling" und "galoppierende Rosenbüsche im Schatten der Ulmen als trüg ich die Finken in den Wind hinein, alles wäre schöner gewesen, wärest du dabeigewesen". Beides aus "Cahier", meist ohne Punkt und Komma und platziert zwischen Krikelkrakel-Zeichnungen der Autorin.

Ein radikales Leben für die Dichtung. Das beginnt schon gegen vier am Morgen, wenn ihre ersten Zeilen aufs Papier finden, das sich in ihrer legendären, man darf ruhig sagen: chaotischen Wohnung überall stapelt. Vielleicht ist die Wohnung selbst schon eine Art begehbares Buch geworden, die sie deshalb mit niemandem teilte, selbst nicht mit der Liebe ihres Lebens, dem vor 14 Jahren gestorbenen Dichter Ernst Jandl. Wie er lehrte auch Mayröcker zunächst an einer Schule, bis beide das Korrigieren von Schulheften satt hatten und lieber selbst das Schreiben üben wollten.

Ihr Lebenslauf ist ein ununterbrochener Schreibstrom, mit ein paar Sandbänken mittendrin. Eine davon ist das in ihren Texten so typische "sz". Stilistische Untersuchungen lohnen dazu allerdings nicht. Denn irgendwann ist auf ihrer Hermes-Schreibmaschine einfach nur das "ß" kaputtgegangen.

Info Friederike Mayröcker: "Cahier". Suhrkamp, 192 Seiten, 19,95 Euro

(RP)
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