Ein Schweizer Streiter für die UN

Der Soziologe Jean Ziegler plädiert trotz aller Schwächen für den Ausbau der UN.

Die sanfte Gewalt der Vernunft ist es, woran Jean Ziegler glaubt, ein Glaube, den er von Bertolt Brecht übernimmt. Es sind die Vereinten Nationen (UN), die diese Gewalt der Vernunft verkörpern. Dabei sieht er es als nicht so einfach an, die Vorzüge ihrer Prinzipien zu beschreiben. Er tut es und zeigt gleichzeitig ihre Fehler und ihr Versagen auf. Ihre geistig-politischen Väter waren 1941 Roosevelt und Churchill, sie projektierten die UN als Teil einer neuen friedlichen Weltordnung. Aber sie legten die Grundlagen für zwei ihrer prinzipiellen Schwächen. Roosevelt postulierte die gleichberechtigte Souveränität aller Staaten, Churchill hielt es für möglich, dass die Staaten mehrheitlich in der UN-Generalversammlung gefährliche Beschlüsse treffen könnten, und bestand auf dem Vetorecht der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs.

Die gleichberechtigte Souveränität aber hat sich als Schimäre erwiesen. Die USA als mächtigster Staat der Welt nutzen ihre Souveränität in einem imperialen Verständnis, das den Prinzipien der UN widerspricht. In Kissinger, von ihm verabscheut, sieht Ziegler den Protagonisten dieser Position. Die schwachen Staaten sind hilflos großen Mächten und auch dem Einfluss der "Klasse der Reichen" ausgeliefert.

Die dritte prinzipielle Schwäche ist das einseitige Verständnis der Menschenrechte, konzentriert auf Freiheit der Versammlung, der Meinung, des Gewissens, der Religion. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte kommen zu kurz. In der "Erklärung von Wien" wurden diese Menschenrechte 1993 verbunden. Die USA blieben der Abstimmung fern und weigern sich bis heute, sozioökonomische Menschenrechte anzuerkennen.

Ziegler, früherer Schweizer sozialdemokratischer Parlamentarier, analysiert diese Fehler als ehemaliger Akteur im UN-System. Er tut das anschaulich, immer wertend aus seinem Engagement für die Armen des Südens heraus. Weiten Raum nimmt die radikal gewechselte Einstellung Israels zu ihm ein. Als er in einem Konflikt mit Schweizer Banken für die Rechte von Juden auf ihre im Zuge der Flucht aus Nazi-Deutschland entstanden Schweizer Bankguthaben kämpft, fand er hohe Anerkennung. Er wurde nach Israel eingeladen, aber angefeindet, als er Israel für den Nahrungsmangel von Palästinensern verantwortlich macht.

Bei allen traurigen Erfahrungen sieht er Fortschritte im System der UN. Es ist der Internationale Strafgerichtshof, auch wenn bislang nur Afrikaner angeklagt wurden. Und es ist das Recht auf humanitäre Intervention gegen Regierungen, die die Menschenrechte ihrer eigenen Bürger missachten.

Das Buch des 82-jährigen Ziegler ist auch ein autobiografischer Rückblick, bilanzierend, was er erreicht hat und was über seinen Tod hinaus bleibt. Bleiben wird für ihn die Gewalt der Vernunft. Sie wird getragen von einer "planetaren Zivilgesellschaft". Er unterscheidet sie von vielen Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), die alimentierte Meinungsagenten ihrer Regierungen seien und die ihn oft diffamiert hätten. Die planetarische Zivilgesellschaft indes ist eine "rätselhafte Bruderschaft der Nacht, gerüstet mit den Waffen einer wiederauferstandenen UN, sie bildet den sichtbaren Horizont einer Welt, die endlich menschlich wird".

(RP)
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