Düsseldorf Ein Western über die Nächstenliebe

Düsseldorf · Viggo Mortensen brilliert in dem bewegenden Kino-Drama "Den Menschen so fern". Die Vorlage schrieb Albert Camus.

Zwei Männer kämpfen sich durch eine Landschaft, der die Menschen egal sind. Es wachsen keine Bäume in dieser Landschaft. Das sind nur Berge und Felsen, es gibt kein Gras oder Moos, nur Steine und Staub. Der Tod wohnt in dieser Landschaft, manchmal meinen die Männer ihn lachen zu hören. Und obwohl die beiden nicht viel gemeinsam haben, nicht den Gott und nicht die Hautfarbe, sind sie froh, dass der jeweils andere da ist. Einsamkeit fühlt sich weniger schlimm an, wenn man nicht alleine ist.

"Den Menschen so fern" heißt der bewegende Film, gedreht hat ihn der französische Regisseur David Oelhoffen nach der Erzählung "Der Gast" von Albert Camus. Die Geschichte spielt im Atlasgebirge. Dort unterricht Daru algerische Kinder, und das Schulgebäude steht in einer Senke zwischen zerklüfteten Steinwänden, gegen die seit Jahrhunderten mit unverminderter Wut der Sturm bläst. Viggo Mortensen spielt den Lehrer, er hält dem Wind sein Kinn entgegen, und man ahnt, dass der stille Raum hinter seiner Stirn schwarz gekachelt sein muss. Es sind die frühen 50er Jahre, der algerische Unabhängigkeitskrieg gegen die französische Kolonialmacht steht vor dem Ausbruch. Daru ist Sohn andalusischer Einwanderer, wuchs in Algerien auf, war Offizier der französischen Armee, und wo sein Platz sein wird, wenn das Chaos beginnt, ist ungewiss.

Die Biografie von Albert Camus ähnelt der seiner Hauptfigur, und "Der Gast" schrieb er, als seine Tage besonders düster waren. Er litt unter Erstickungsanfällen, seine zweite Frau Francine hörte Stimmen, seine acht Jahre alten Zwillinge gab er zu Verwandten. In der Öffentlichkeit galt er als Auslaufmodell, wurde als "weltlicher Heiliger" verspottet. Er floh vor dem Unglück nach Algerien, zurück in die Vergangenheit, doch von der Landschaft seiner Kindheit fand er nur noch Spuren.

Das Algerien, das Camus beschreibt und Oelhoffen ins Bild setzt, ist rau, und Nick Cave und Warren Ellis begnügen sich zu Beginn damit, für ihren großartigen Soundtrack lediglich einige Pianotupfer in den Wind zu tuschen. "Daru führte ein mönchisches Dasein", heißt es bei Camus, er war zufrieden "mit dem Wenigen, was er besaß." Daru hat sich eingerichtet in der Unwirtlichkeit.

Dann jedoch wird er aufgefordert, einen Mann im Dorf jenseits der Hügel abzuliefern. Der Mann (Reda Kateb) ist Einheimischer, er hat einen Cousin getötet, und nun soll er vor Gericht gestellt werden. Daru weigert sich, man zwingt ihn, und in einem unbeobachteten Moment fordert er den Mann auf, einfach zu fliehen: "Lauf doch." Aber auch der Mann weigert sich, er will lieber nach den Gesetzen der Kolonialisten hingerichtet werden, als der Blutrache zum Opfer zu fallen. Er glaubt an die Ehre.

Also folgen die beiden, die füreinander das Schicksal sind, ihrer Bestimmung. Sie brechen auf in die Wüstenei, und von hier an entfernt sich der Film immer stärker von der Vorlage. Oelhoffen gibt dem Mörder einen Namen, er nennt ihn Mohamed, und erst dadurch wird er zum Charakter und Daru ebenbürtig. Die beiden fliehen vor Rebellen und Soldaten, werden von Mohameds Verwandten verfolgt und geraten in Gefangenschaft. Während sie unterwegs sind, lösen sich die wenigen Gewissheiten ihrer Leben auf; die Grenze zwischen Freund und Feind verschwimmt, zwischen Argwohn und Vertrauen, Gesetz und Freiheit. Sicher ist nur eines: Daru und Mohamed sind Menschen.

"Den Menschen so fern" ist ein mahgrebinischer Western, und dass er so berührt, liegt daran, dass Oelhoffen alle Didaktik vermeidet, er ist nie direkt oder ausdrücklich. Er inszeniert mit puristischer Eleganz, und er hat zwei Schauspieler, die ihre Figuren mit theatralischem Minimalismus entwerfen und nie versuchen, gegen die überwältigende Kulisse anzuspielen. Daru und Mohamed geraten in einen mächtigen Regen, und das Wasser scheint alles Misstrauen, alle Vorurteile wegzuwaschen. Daru und Mohamed lernen einander zu verstehen, zu achten und zu mögen. Sie werden zu Brüdern, und am Ende ist das ein Film über die Nächstenliebe.

Bald geht einem auf, dass das auch ein Essay über die Gegenwart ist, über Flüchtlinge, die fern von zuhause nicht fremd sein wollen. Über Menschen im Transit, die eine Heimat suchen - und damit meinen sie keinen Ort, sondern ein Gefühl. Es ist das der Geborgenheit.

Camus war 43 Jahre alt und scheinbar am Ende, als er seine Parabel auf die Existenz des Menschen veröffentlichte. Der letzte Satz des Textes lautet: "In diesem weiten Land, das er so sehr geliebt hatte, war er allein." Die Mitglieder der Akademie in Stockholm lasen ihn und nickten einander zu. Am 10. Dezember 1957 überreichten sie Camus den Nobelpreis für Literatur.

(RP)
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