Düsseldorf Eine betuliche Spieloper

Düsseldorf · In der Inszenierung von Dietrich W. Hilsdorf wird an der Deutschen Oper am Rhein die Vertonung von "Die lustigen Weiber von Windsor" ins Biedermeier verlegt.

Eigentlich ein guter Witz, dass ausgerechnet am Brexit-Tag an der Rheinoper eine Oper zur Premiere kommt, die erzählt, wie sich britische Kleinbürger rüde zur Wehr setzen gegen eine Figur, die ihren Ordnungsvorstellungen nicht entspricht. Einen Sündenbock suchen, Denkzettel verteilen und den Waschkorb mitsamt dem Problem einfach in die Themse kippen: Das ist alles ziemlich aktuell.

William Shakespeare schrieb seine Komödie "The Merry Wives of Windsor" bereits 1602; und der Komponist Otto Nicolai machte im Vormärz seine Oper "Die lustigen Weiber von Windsor" daraus. Nicolai war zu Lebzeiten berühmt, heute ist er noch bekannt durch seine "Lustigen Weiber" und die Tatsache, dass er die Wiener Philharmoniker gründete. In der Musikgeschichte dürfte eher Letzteres überdauern, denn nach dem Wiederhören wird deutlich, warum man dieses Stück so selten sieht.

Die Spieloper ist doch recht umständlich erzählt und kommt mit ihren betulich witzelnden Sprechtexten nicht von der Stelle. Oder liegt es an der Produktion? An Dietrich Hilsdorfs ganz buchstäblicher Inszenierung, dem rumpelnden Timing der Dialoge und Axel Kobers über weite Strecken schwerfälligem, wenig Farbzauber evozierenden Dirigat?

Dabei fängt der Abend vielversprechend an: Die Ouvertüre wispert und flüstert von Mendelssohn'schem Nacht- und Feenzauber; und Dieter Richter hat auf einen Gazevorhang Caspar David Friedrichs "Abtei im Eichwald" malen lassen. Dann wird der Vorhang durchsichtig: Man sieht einen zum Tode Verurteilten am Galgen baumeln und zappeln.

Wie sich aber bald herausstellt, legt Hilsdorf mit diesem makaber düsteren Vorspiel eine falsche Fährte. Denn im Verlauf des Abends knüpft er daran nur noch vage an und setzt erst recht nicht fort, was er vor fünf Jahren in Bonn an Lortzings "Der Wildschütz" so luzide gezeigt hatte: die Nachtseite des Biedermeier, das Brüchige, Rohe, Gewaltbereite der deutschen Provinzspießer, ihre verklemmte Erotik und ihren latenten Sadismus mit schwingender Moralkeule. Denn wenn sich nun der Vorhang hebt, öffnet sich ein feudaler Festsaal mit mehreren Türen, die für das folgende Boulevard-Spiel vonnöten sind.

Und dann kommt er - Hans Peter-König gibt den dicken Ritter Sir John Falstaff, eine der komplexesten Shakespeare-Figuren überhaupt, die oszilliert zwischen Vielfraß, Anarcho und Sex-Protz nimmt die zuvor brieflich umworbene Alice Fluth (Anke Krabbe) erst einmal nicht zur Kenntnis. Dafür räumt er in aller Seelenruhe die Reste von diversen Tellern zusammen und stopft sie schmatzend in sich hinein. Allein wie König das Essen und Singen koordiniert und immer wieder nebenher große Flaschen leert, ist ein Ereignis. Seine orgelnd strömende, leicht ansprechende und mit makelloser Diktion ausgerüstete Stimme ist es sowieso.

Aber die Regie gesteht ihm wenig Eros und Raffinesse zu, stattdessen muss er immerzu essen und wird am Ende unterfordert zum gemütlichen Problembär. Oder haben sich da in den Proben womöglich zwei Alphatiere gegenseitig ausgebremst?

Den Rest des Personals führt Hilsdorf mit gewohnter Präzision und untadeligem Handwerk. Im ersten Akt zeigen sich feine Haar-Risse in der auftrumpfenden Spießer-Gesellschaft. Im zweiten Akt - der nicht in der Schänke, sondern in einer Klosterkirche spielt - geht es merklich grobmaschiger zu. Die Buffo-Figuren Spärlich und Dr. Cajus machen sich tapfer lächerlich, die Sauf-Szenen sind einfach zu lang und allmählich glaubt man zu spüren, wie dem Regisseur die Lust am Werk abhandenkommt.

Dem Publikum geht es ähnlich, denn nach der zweiten Pause gähnen breite Lücken im Parkett. Die finale Waldszene wird noch gruselig aufgepeppt mit schwarzen Ku-Klux-Klan-Hüten für den Herrenchor, der den dicken Ritter mit Messern und Gabeln attackiert. Für den verhöhnten Falstaff steht plötzlich ein Sarg bereit, in den hinein man eine Flasche reicht.

Sängerisch und darstellerisch - trotz Unterforderung - dominiert Hans-Peter König den Abend, gefolgt von Anke Krabbes quecksilbriger Frau Fluth, deren Sopran sich geschmeidig in die gefährlichen Koloraturkurven legt. Marta Márquez' Mezzo als Frau Reich klingt gebremst und stellenweise mulmig, gewohnt solide tönt Sami Luttinen als Georg Reich und Richard Sveda ist ein etwas übersteuerter Frank Fluth. Luiza Fatyol lässt als Anna weich timbrierte Sopran-Töne hören, aber letzte Führungsqualitäten vermissen; und Ovidio Purcel imponiert mit schwindelfreien Höhen, aber leider hat niemand ihm geraten, dass er von seinem Dauer-Forte hin und wieder ablassen sollte.

(RP)
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