Köln Eine Heldin der Nachkriegsmoderne

Köln · Grandiose Retrospektive der abstrakten Expressionistin Joan Mitchell im Museum Ludwig.

Platon hielt den Körper für den Käfig der Seele. Haben die wilden Männer des Abstrakten Expressionismus deswegen nicht nur die Leinwände, sondern auch ihre Körper mit allerlei Exzessen zu bekämpfen versucht? Damit der Gefühlsausdruck ihrer Kunst möglichst entgrenzt rüberkommt?

In der Disziplin, an den inneren Gitterstäben mit dem Pinsel zu rütteln, hat sie es zu Höchstleistungen gebracht. Auch die Malerei von Joan Mitchell (1925-1992) war ohne Alkohol, Zigaretten, Streit und unzählige Seitensprünge nicht zu haben. "Wenn du nicht fühlst, kannst du nicht malen", sagte sie einmal in einem Film-Interview. Früh nahm sie Kurs auf die Selbstzerstörung und lebte doch lang genug, um die Höhen und Tiefen ihrer Karriere auskosten zu können. Heute ist Mitchell in den wichtigsten internationalen Sammlungen präsent. Ihr Werk war hierzulande 1959 auf der Documenta II zu sehen. Danach herrschte für Jahrzehnte Schweigen. Erst 2009 widmete die Kunsthalle Emden der Künstlerin eine Ausstellung. In den USA sieht es anders aus. Mit 11,9 Millionen US-Dollar hielt sie 2014 zeitweilig den Rekord für das teuerste Bild aus Frauenhand. Da dürfte auch Georg Baselitz ins Grübeln kommen, der dem weiblichen Geschlecht gerne eine beschränkte Malerei-Kompetenz attestiert. Bei solchen Auktionssummen muss schließlich etwas dran sein an dieser Heldin der Nachkriegsmoderne.

Auf die sichtbarste Bühne, die zu haben war, nach New York, zog es Mitchell nach einem Kunststudium in Chicago 1947. Kunstkritiker wie Harold Rosenberg oder Clement Greenberg lieferten gerade in ihren Manifesten die Gebrauchsanweisung für das Rollenfach Action Painter. In der grandiosen Retrospektive im Museum Ludwig dokumentieren im Souterrain Fotos aus dem Archiv der Mitchell-Foundation diese von Disziplin geprägte Lebensphase.

Glücklich sieht Mitchell auf ihnen nicht aus. Es scheint, als hätte sie schon früh begriffen, was ihr als Frau bevorsteht, wenn sie die Anerkennung bekommen will, die ihre Eltern beeindrucken könnte und auch ihrem Selbstbild entsprach.

Immerhin beweisen mitunter noch nie gezeigte Dokumente, dass sie ans Ziel gekommen ist. Hier findet sich auch "Ladybug" von 1957, das aus der Sammlung des MoMA kommt. Es entstand nach einem Konzert von Billie Holiday, in der Nacht, Mitchells bevorzugter Arbeitszeit. Ein chaotisches Durcheinander dünner und dicker Pinselstriche, das man mit einer exzessiv mit Schnitten malträtierten Eisfläche verwechseln könnte, wäre da nicht der Farbenrausch, der einen Strom von vorbeirasenden Beobachtungen in der Abstraktion bündelt.

In Köln zieht sich der Parcours bis ins Obergeschoss. Chronologisch gehängt, hellt sich die Farbpalette der 30 Arbeiten auf. Pink breitet sich etwa über "Grandes Carrières" aus. Die Pigmente gehorchen stürmischen Schlenker-Bewegungen, die sich in plötzlichen Explosionen aus Klecksen und Flecken entladen.

Mitunter dreht Mitchell die Leinwände, damit die Farben runterfließen. Je nach Wetterlage oder Jahreszeit dominiert regennasses Blau die Atmosphäre. Oder erdiges Braun, das wie ein Eindringling das florale Element verdrängt.

Im Oberlichtsaal gelingt Direktor Yilmaz Dziewior mit vier riesigen Quadriptychen ein veritabler Paukenschlag. Im Alter schätzt die Malerin immer noch die Abweichung. Die späten Leinwände bleiben an den Rändern mitunter unbemalt. "Merci" von 1992 etwa, dem Jahr, in dem sie starb, kommt mit blau-orangenem Stakkato aus. Ihre Bilder führten ein Eigenleben. Frei und ungezähmt. Eine längst fällige großartige Wiederentdeckung!

Info Bis 21.2.16 im Museum Ludwig Köln, Heinrich-Böll-Platz. Di.-So. 10-18 Uhr

(RP)
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