Eine Kindheit in der Politik

München · Die Tochter des früheren Innenministers Rudolf Seiters (CDU), Sarah Seiters, über ihre turbulente Kindheit in einem Politikerhaushalt.

Als Sarah Seiters 1980 in Papenburg im Emsland geboren wurde, schickte Bundeskanzler Helmut Kohl ein Glückwunschtelegramm. Der Vater des Mädchens war nämlich der Bundestags-Abgeordnete Rudolf Seiters, der später Kanzleramts- und Innenminister wurde. Sarah Seiters ist die jüngste der drei Töchter des CDU-Politikers. Über ihre Jugend schrieb sie nun das amüsante Buch "Politikerkind. Wenn der Kanzler zweimal klingelt". Die Erinnerungen sind Familienroman und Geschichte der BRD in den 80er und 90er Jahren zugleich. Seiters erzählt von Treffen mit dem Kanzler und Schwärmereien für Bodyguards. Die 33-Jährige arbeitet heute als Journalistin in München.

Einen der wichtigsten Anrufe, die Ihr Vater je bekam, haben Sie entgegengenommen.

Sarah Seiters Am Apparat war Helmut Kohl. Er wollte meinen Vater sprechen, und ich holte ihn aus dem Garten. Kohl fragte: Rudi Seiters, was machen Sie gerade? Mein Vater antwortete: Ich mähe den Rasen, Herr Bundeskanzler. Darauf Kohl: Das ist eine verdienstvolle Tätigkeit. Aber wir haben auch verdienstvolle Tätigkeiten in Bonn. Er fragte: Haben Sie ein weißes Hemd und einen schwarzen Anzug? Und mein Vater sagte: Das wird sich sicher auftreiben lassen, Herr Bundeskanzler. Tage später fuhr er zur Vereidigung.

Haben Sie je gegen Ihren Vater und dessen Politik rebelliert?

Seiters Als Kind habe ich meinen Vater viel über Politik gefragt und die Antworten in die Schule weitergetragen. Ab der Pubertät habe ich kritischer nachgehakt. Irgendwann auch rebelliert, aber nicht gegen politische Entscheidungen, sondern allgemein: Um meine Eltern zu ärgern, habe ich mich einfach gar nicht mehr mit Politik beschäftigt.

Trotzdem studierten Sie Politik.

Seiters Ich wollte etwas studieren, in dem ich ohnehin gut war, damit ich auch noch für andere Dinge Zeit hatte - ich wollte ja nicht nur in der Bibliothek hocken.

Auch Ihre Mutter war in der Politik - als Sekretärin bei der CDU. Wie haben sich Ihre Eltern kennegelernt?

Seiters Auf einer Bezirksveranstaltung meines Vaters. Er sollte dort reden, ein aufstrebender Politiker der CDU. Meine Mutter war noch neu. Ihr Auftrag lautete, die Delegiertenpässe am Eingang zu prüfen. Mein Vater hatte ihn nicht dabei, und meine Mutter ließ ihn nicht ein, obwohl jeder ihn kannte. Eine Kollegin klärte meine Mutter dann auf.

Ihr Vater wurde Chef ihrer Mutter.

Seiters Ja, und er brachte sie zur Weißglut, weil er so ein Komma-Pedant war. Obwohl sie alle Texte von Kolleginnen gegenlesen ließ, hatte sie Bammel, zu ihm ins Büro zu gehen: Er beanstandete immer etwas.

Später rief Ihr Vater Ihre Mutter nach Fernsehauftritten an und fragte: "Püppi, wie war ich?"

Seiters Er wollte Feedback von der Familie, vor allem in der turbulenten Zeit als Minister. Meine Mutter durfte nicht zu kritisch sein, dann war die Stimmung hinüber. Trotzdem hat er sich immer über Kritik Gedanken gemacht. Meine Mutter erzählte ihm auch, was die Freunde über politische Angelegenheiten dachten. Er nahm es sich zu Herzen.

Was ist das Besondere an der Kindheit in einem Politikerhaushalt?

Seiters Der Vater ist berühmt, und deshalb steht man immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit - zumal im Emsland. Und als mein Vater Minister wurde, stand plötzlich ein Polizeicontainer vor unserem Haus, und die Familie wurde um viele Bodyguards vergrößert. Außerdem konnte ich berühmte Leute treffen - den Papst, Willy Brandt. Das war natürlich spannend. Aber es gab auch die andere Seite: Ich musste mit Abschieden klarkommen.

Sie schildern im Buch herzzerreißende Szenen am Montagmorgen. Ihr Vater hat Sie zur Wiedergutmachung mit Geschenken überhäuft.

Seiters Wenn er aus Sitzungswochen zurückkam, hatte er immer etwas dabei - vom Asterix-Heft bis zum Kuscheltier. Das zeigte mir: Er hat an mich gedacht.

Wurden Sie dazu angehalten, sich in der Öffentlichkeit besonders vorbildlich zu verhalten?

Seiters Mein Vater hat im Bundestag die Jugendschutzgesetze gemacht, und ich habe sie in der Pubertät regelmäßig am Wochenende gebrochen. Da habe ich dann meine Standpauke bekommen.

Wie haben Sie die Bedrohung durch die RAF wahrgenommen?

Seiters Das hat mich bedrückt. Überhaupt war die Bedrohung durch Attentate allgegenwärtig: Lafontaine und Schäuble arbeiteten ja in derselben Liga wie mein Vater. Manchmal lag ich nachts im Bett und dachte: Hoffentlich ist er nicht als Nächstes dran.

Sie haben erlebt, wie die Wiedervereinigung vorbereitet wurde.

Seiters In dieser Phase war mein Vater besonders viel weg, schon daran merkten wir, dass etwas Besonderes passierte. Meine Mutter erklärte mir, wie das war mit der DDR und warum wir in getrennten Staaten lebten. Aber wir haben nicht damit gerechnet, dass die Mauer fallen würde. Irgendwann rief Vati an und forderte uns auf, den Fernseher einzuschalten. Da sahen wir, was in Berlin los war.

Sind Sie politisch aktiv?

Seiters Ich weigerte mich, als mein Vater wollte, dass ich in die Junge Union eintrete. Ein Politiker in der Familie reicht. Außerdem: Talent überspringt immer eine Generation.

Wie urteilen Sie heute über Politiker?

Seiters Wenn Politiker in der Kritik stehen - egal von welcher Partei - bin ich ihnen gegenüber manchmal nachsichtiger als andere. Ich weiß ja, dass es in so einem Amt unmöglich ist, es allen recht zu machen.

Wie war das, als Sie Helmut Kohl in seinem Büro besuchten?

Seiters Ich habe meinen Vater so lange genervt, bis ich an einem Tag ins Kanzleramt mitkommen durfte. Vati musste Akten bearbeiten, und ich fragte, ob ich rumlaufen darf. Er nickte, sagte aber: Geh nicht zum Kanzler. Ich bin trotzdem hin und habe mich vor sein Büro gesetzt. Nach einer Weile bat mich Juliane Weber, Kohls Sekretärin, herein. Ich wunderte mich, dass es dort keine Brokatvorhänge gab. Kohl saß in Hosenträgern und Hausschuhen da. Wie hielten Smalltalk. Zum Abschied gab er mir eine Uhr mit Bundesadler und seiner Unterschrift auf dem Zifferblatt. Auf dem Schulhof konnte ich damit beeindrucken.

Wie denken Sie über Helmut Kohl?

Seiters Er ist ohne Frage eine beeindruckende Persönlichkeit. Meine privaten Begegnungen mit ihm waren immer positiv. Besonders emotional: Die Rede, die er am 70. Geburtstag meines Vaters gehalten hat - trotz gesundheitlicher Probleme.

(RP)
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