Oberhausen Jelineks Flüchtlingsstück ganz aktuell

Oberhausen · Intendant Peter Carp hat am Theater Oberhausen "Die Schutzbefohlenen" inszeniert, Elfriede Jelineks Text-Massiv zum Thema Flüchtlinge, das so gut in die Zeit passt wie kaum ein anderes Stück. Um ein Gefühl für die zerbrechliche, bedrohte Existenz von Menschen auf der Flucht zu schaffen, lässt Carp zuerst die Theatermaschine alleine sprechen. Die Bühne ist unübersichtlich und dunkel, ein Raum aus Begrenzungen, Barrieren. Ein Scheinwerfer sucht - nach "Unbefugten"? Wasser rauscht, man hört es metallisch knatschen. Die ungewisse Fahrt über das Mittelmeer als akustische und visuelle Erzählung trifft wirkungsvoll auf das Gefühl.

Doch dies wäre kein Jelinek-Abend, wenn nicht auch viel sprachlich reflektiert würde. Peter Carp teilt den Text, den die österreichische Literatur-Nobelpreisträgerin 2013 als Reaktion auf die Besetzung der Wiener Votivkirche durch pakistanische Flüchtlinge geschrieben hat, auf vier Personen auf. Sie sind nicht wie in den ersten Inszenierungen anklagende Flüchtlinge, sondern europäische Bildungsbürger im Tee-Salon. Aus dem Wir wird ein trennendes Sie.

Dieses Sie ist den Menschen auf der Bühne fremd. Aus unterschiedlichen Geisteshaltungen heraus versuchen sie, ihm nahe zu kommen. Sie diskutieren auf der Gefühlsebene: "Wenn diese Fremden überall Angst haben, warum kommen sie dann? Um neue Angst zu erfahren?" Sie fragen nach Recht und Besitz: "Diese Menschen haben nichts. Sie haben nur ihre Existenz als Zahlungsmittel." Sie versuchen die europäischen Ideale von Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde auf die Situation der Flüchtlinge anzuwenden und stoßen an Grenzen: Gibt es Flüchtlinge zweiter Klasse? Warum wurden die Töchter von Boris Jelzin und Opernstar Anna Netrebko gleich aufgenommen?

Um einen Jelinek-Text in den Griff zu bekommen, braucht es einen verständigen Regisseur und starke Darsteller. Die haben sich in Oberhausen mit Peter Carp und seinem Ensemble aus Moritz Peschke, Anja Schweitzer, Hartmut Stanke und Lisa Wolle tatsächlich gefunden. Wenn der Intendant am Ende echte Flüchtlinge an die Bühnenrampe stellt, die vorher nur als Schatten in den Fluchten zu erahnen waren, wird die gefühlte Wirklichkeit vom Anfang der sehr sehenswerten Inszenierung real.

Exemplarisch verlesen sie die Fakten ihrer lebensgefährlichen Fluchtgeschichten über Wasser und Land - wie eine Inventarisierung des kaum Vorstellbaren.

(RP)
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