Premiere von "Otello" Endstation Eifersucht

Düsseldorf · Phänomenaler Start in die Opernsaison: Verdis "Otello" hatte Premiere in der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf.

Seit einiger Zeit müssen sich sogar die Maskenbildner an Theatern und Opernhäusern mit den Geboten der politischen Korrektheit rumschlagen. Es darf ja keine farbigen Menschen mehr auf der Bühne geben, angeblich ist das diskriminierend. Betroffen sind vor allem gelbe Chinesen, rote Indianer und selbstverständlich alle Dunklen. Die Mohren haben ihre Schuldigkeit getan und werden künftig gehäutet. Das C-Rohr der Weißwäsche trifft vor allem den berühmtesten Farbigen der Literatur, nämlich Shakespeares und Verdis Otello.

Aber das Schwarze bei Otello ist nicht nur eine Frage der Optik, sondern seines Denkens und Fühlens. Der ehemalige Sklave, der sich in der venezianischen Flotte hochdiente, bis ihm die Leitung der Zypern-Mission übertragen wurde, ist krankhaft eifersüchtig. Leicht lässt er sich soufflieren, dass sich seine geliebte Gattin, die maximal tugendhafte Desdemona, in einen anderen verguckt hat; die Membran seines Selbstwertgefühls ist entsetzlich porös. Nicht an seinem Körper klebt die Finsternis, sondern in seinem Gehirn. Dort, im sogenannten limbischen System, wo die Gefühle, die Triebe, die Ängste gesteuert werden, ist bei Otello vieles in Unordnung. In dieses Gehirn möchte man nicht hineinschauen müssen.

Doch, müssen wir jetzt.

Der großartige Regisseur Michael Thalheimer inszeniert "Otello" an der Düsseldorfer Rheinoper als Blick in die ewige Nacht eines kaputten, vergifteten Gehirns. In einem komplett schwarz ausgeschlagenen Guckkasten (Bühne: Henrik Ahr) wirkt der negative Held wie ein Nachtschattengewächs, wie ein Gespaltener, der zwei Herzen in seiner Brust und zwei Farben im Gesicht hat. Auf Nase, Stirn und Wangen trägt er schwarze Schuhcreme, der Rest ist bleich. Das macht aus ihm einen doppelgesichtigen Wüterich, den Jago leicht in den Eifersuchtsmord an Desdemona treiben kann. Dann und wann fällt Licht herein, aber es sind nur Schlieren, Reste eines ungefährdeten Lebens - oder es sind weitere Nachrichten oder Visionen, die Otellos fremdgesteuertes Ich überfallen wie Würgeengel.

Das hat an diesem Abend einen wahrhaft unerbittlichen Drive, weil Musik und Szene einander potenzieren. Wenn Jago schon früh seine diabolische Intrige in allen Einzelheiten schildert, sieht man im Hintergrund einen strauchelnden, bereits mit Jagos Virus infizierten Otello, und man sieht, wie auf seinen Rücken ein Kreuz aus Licht fällt. Ein beklemmender, grandioser Moment: Teufel Jago segnet sein Opfer. Boris Statsenko singt die Jago-Partie aber auch, als habe er sein Leben lang auf diesen Abend gewartet.

Statsenko ist in dieser Produktion das Böse schlechthin, ein perfekter Täuscher, der aus Häme dröhnt und aus Heimtücke flüstert; seine Stimme ist plastisch, bullig, süffig und in fast allen Lagen von hinreißender Gefährlichkeit. Axel Kober und die an diesem Premierenabend fabelhaften Düsseldorfer Symphoniker geben ihm Wind in die Segel der Niedertracht; die Holzbläser mischen hinreißend hässliche Farben, das wuchtige Blech markiert den Nachhall des Furors in Otellos Seele, und die exzellenten Streicher zirpen, zischen und zicken. Man höre sich nur das wundervolle Quartett der vier Violoncelli an. Alles greift, von Verdis Lust am Zorn getrieben, ineinander, bis die panisch aufgewirbelten Emotionen im Hafen von Otellos Gehirn vor Anker gehen: Endstation Eifersucht.

Der Chor sucht sich in dieser Enge seinen Ort, manchmal steht er auch hinter der Bühne, bis Otellos Schädeldecke eine Tür freigibt und eine schier antikische Wucht aus Gesang in den Saal fluten lässt. Gerhard Michalski hat dem Chor eine großartige Genauigkeit antrainiert, die sich in den zahllosen Engstellen von "Otello" bestens bewährt.

In dieser Wand aus Tönen wirkt der weich tragende und nie aufdringliche Sopran von Jacqueline Wagner (Desdemona) gleichsam madonnenhaft, wie eine Stimme aus einer anderen Welt, deren vornehmes, unschuldiges Timbre den Gedanken an einen Ehebruch abwegig scheinen lässt. Otello (mit robustem und durchsetzungskräftigem Tenor: Zoran Todorovich) ist in seiner Eifersucht gleichwohl kaum zu bremsen, nicht einmal von der rührendsten Geste seiner Gattin: Im Finale, vor dem Eifersuchtsmord, holt sie noch einmal ihr Brautkleid heraus. In diesem schwarzen Kerker scheint es wie von Frau Klementine aus der Ariel-Werbung gewaschen.

Weitere trügerische Signale hält Otellos Schädel jedoch nicht mehr aus. Kaum hat er Desdemona erwürgt, geht ein Riss durch die Wand. Licht dringt herein, und tatsächlich: Jetzt begreift der düstere Held, was in dieser wahnwitzigen Nacht passiert ist und welche Kabale ihn vernichtet hat. Trotzdem ist es wiederum Jago, der ihm - diskret und zielführend - von hinten das Messer für den Suizid reicht.

Am Ende großer, einhelliger Beifall. Gern darf die Spielzeit auf diesem fulminanten Niveau bleiben. Etwas mehr Lieblichkeit, Farbe und Helligkeit dürfte sich automatisch einstellen.

(w.g.)
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