Ausstellungen in Duisburg Erwin Wurms irrwitzige Fantasien

Duisburg · In zwei Duisburger Museen stellt der Österreicher zurzeit seine kunstvoll abwegigen Eingriffe in den Alltag vor.

Warum verhalten sich die Menschen so erwartbar? Teilen nicht zu zweit einen Pullover, stecken ihren Körper nicht kopfüber in eine Kiste, stellen ihren Stuhl nicht auf vier Kugeln? Das sind Fragen, die sich kein Mensch stellt außer Erwin Wurm. Der 62-jährige österreichische Künstler ist über seine Heimat hinaus bekannt dafür, dass er konstruktiv aus der Reihe tanzt und Bekanntes so entstellt, dass es absurd wirkt. In zwei Duisburger Museen, der Küppersmühle und dem Lehmbruck-Museum, zeigt er spaßig, aber auch sarkastisch, wohin das führen kann - und häufig auch mal führen sollte, damit unsere Neuerungskraft nicht erlahmt.

In der Küppersmühle zum Beispiel führt es zu einem 90 Meter langen Wandbehang aus grell grünem Strickstoff, der sich durch mehrere Ausstellungsräume windet und hier und da einen grünen Ärmel heraushängen lässt. Das mag man als Parodie auf die amerikanische Farbfeldmalerei verstehen, noch mehr aber bezieht es seine Wirkung daraus, dass es die Erwartung der Museumsbesucher enttäuscht: An die Wand gehören Bilder.

Auf dem Boden und an den nicht bestrickten Wänden bleibt genug Platz für andere Erfindungen des Künstlers, der sich die Erweiterung der Skulptur zum Ziel gesetzt hat und dafür kaum ein Genre auslässt. Objekte, Aktionen, Videos, Fotografien, Zeichnungen und Bücher sind seine Medien. Ein sogenannter Kastenmann - ein mit rosafarbenem Anzug und weißem Hemd bekleideter Kasten, der auf zwei nackten Beinen steht - weist auf ein weiteres großes Thema des Künstlers hin: die Körperlichkeit. Letztlich gilt das gesamte Schaffen Erwin Wurms in einem ganz alltäglichen Sinne der Frage: Wie soll ich leben? Da liegt es nahe, dass sich ein Pümpel - im Schriftdeutsch "Saugglocke" - mit einem Stapel Bücher verbündet, deren Titelseiten die Namen Schopenhauer, Umberto Eco, Niklas Luhmann und Richard David Precht zieren - was man so braucht zum Leben. Und dann gibt es da noch Fotos und Videos von sogenannten One Minute Sculptures: Menschen, die nach Wurms Anweisungen Unsinn machen. Einer reitet auf einer ausgehakten Tür, ein anderer beißt in einen Damenstiefel, der von der Decke herabhängt.

Im Lehmbruck-Museum, dem zweiten Standort der Doppelausstellung, empfängt die Besucher ein verfetteter roter Porsche Carrera, ein Auto, das so wirkt, als könne es sich vor lauter zur Schau gestellten PS kaum fortbewegen. Auch hier setzt Erwin Wurm bei der Welt des Konsums an und hält unseren Erwartungen einen Zerrspiegel vor.

Weiter geht es zu Figuren aus Aluminium, Bronze oder Gips, die Menschen zu Dreibeinern verfremden oder auf andere Art ihre Körper ins Absurde verbiegen. Im Saal nebenan blickt man ins "Land der Berge", 49 dunkle Kleinbronzen auf Sockeln, in denen sich abstrahierte menschliche Formen mit realem Müll verbinden. An der hinteren Wand hängen grafische Blätter der Serie "Vaterland": mit Hilfe von Kaffee hergestellte Braun-Formationen, deren Farbe sich auf das "Dritte Reich" bezieht. Hier wirkt Wurm recht konventionell.

Das Irrsinnigste steht den Besuchern noch bevor. Im letzten Saal lagert umgekipptes Mobiliar aus den 70er Jahren auf dem Boden. Wer dort eine Schublade herauszieht oder eine Schiebetür zur Seite stößt, trifft auf Gläser, Wodka und Campari und die Aufforderung des Künstlers, sich in die eingefrästen Öffnungen zu zwängen und einen über den Durst zu trinken. Was Menschen sonst aus eigenem Antrieb tun oder vielleicht auch durch gesellschaftlichen Zwang, sollen sie hier nach genauer Anleitung ausführen. Erneut hebt Erwin Wurm den Alltag kunstvoll aus den Angeln, um zu fragen: Wo leben wir eigentlich?

Das Lehmbruck-Museum macht zum Glück nur halbherzig mit. Im Park rings um das Haus treiben sich genug Menschen herum, die alkoholkrank sind und denen unentgeltlicher Nachschub nur schaden würde. Auch Jugendliche werden Wurms Einladung zur radikalen Körpererfahrung nicht folgen können. Harte Spirituosen gibt es auch im Museum erst ab 18 - und keinesfalls bis zum Abwinken.

(B.M.)
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