Martin Schläpfer "Es ist an der Zeit, ein Märchen zu erzählen"

Der Chef des Ballett am Rhein inszeniert sein erstes Handlungsballett: Auf "Schwanensee" blickt er voller Vorfreude und ohne Furcht vor der Tradition. Und: Für seinen nächsten Ballettabend "b.31" hat er zudem eine ältere Choreografie neu entworfen.

Düsseldorf/Duisburg Eigentlich wollte der Chef des Ballett am Rhein seinen nächsten Abend "b.31" mit einer Choreografie eröffnen, die er 2007 für das ballettmainz geschaffen hat. Doch dann wurde aus der Wiedereinstudierung von "Obelisco" eine neue Arbeit. Ein Gespräch über die Schwierigkeit, Repertoire zu pflegen und die Notwendigkeit, bald ein Märchen zu erzählen.

Sie beginnen "Obelisco" mit Musik von Marla Glen und haben auch sonst viel verändert. Warum?

Schläpfer Ich dachte, das Stück sei so gut, wie es steht. Ich hatte es so in Erinnerung. Doch als ich die Arbeit auf Video gesichtet habe, war das nicht mehr so. Am Anfang etwa war mir die ursprüngliche Musik zu klein. Sie hatte zu wenig Lack, zu wenig Härte. Darum habe ich mich jetzt für Marla Glen entschieden. Ähnlich ging es mir mit den Passagen zu Mozart und Scarlatti, das hat mich beim Wiedersehen enttäuscht. Das war zu einfach. Das musste ich neu machen. Mit neuen Tänzern. Das ist manchmal sowieso eine bessere Erfahrung für beide Seiten. Man hat nichts in Erinnerung, konkurriert mit niemandem.

Da sind wir beim grundsätzlichen Problem der Repertoirepflege beim Tanz. Es geht immer darum, etwas Lebendiges von Tänzerpersönlichkeiten einer bestimmten Zeit in eine andere Gegenwart zu übertragen.

Schläpfer Ja, man muss die Glut wieder entfachen, damit eine Arbeit leuchtet, und das gelingt selbst bei sehr erfahrenen Einstudierern nicht immer. Man muss jede Kreation wieder neu texten. Man arbeitet mit andern Tänzern, anderem Licht, anderer Bühne. Das ist fast mehr Arbeit als eine neue Choreografie.

Martin Schläpfer ist auch anders, seit er aus Mainz weggegangen sind.

Schläpfer Ja, man wird älter. (lacht) Ich habe jetzt zehn Jahre mehr auf dem Buckel als Choreograf und Ballettdirektor.

Gibt das Sicherheit?

Schläpfer Kaum. Vielleicht hat man mehr Sicherheit darin zu sagen: Das ist es jetzt. So weit bin ich mit dieser Kreation gekommen. Ich habe das Gefühl, mich nicht mehr so nach außen beweisen zu müssen. Ich bin sicher konzentrierter heute. Sicher auch aggressiver und ungeduldiger. Vielleicht auch ehrlicher - ehrlicher zu mir selbst. Ich habe viel erfahren, bin aber körperlich weniger leistungsfähig. Ganz klar. Aber es gibt auch viele Neuanfänge.

Zum Beispiel werden Sie nächstes Jahr zum ersten Mal ein Handlungsballett choreografieren: "Schwanensee". Warum nun doch?

Schläpfer Jetzt oder nie. Ich habe hier erst einmal fünf Jahre Aufbauarbeit geleistet, dann ging es um die Verlängerung, dann habe ich eine Zeit über "Dornröschen" nachgedacht, jetzt ist es "Schwanensee" geworden. Für mich ist das aber nicht wirklich Neuland, auch wenn es in der Öffentlichkeit so wahrgenommen wird. Ich habe zweimal "Feuervogel" gemacht. Jedes Stück hat seine eigenen Herausforderungen. Ich gehe an jede Arbeit völlig neu heran.

Aber beim "Schwanensee" müssen Sie sich der langen Interpretationstradition stellen.

Schläpfer Es gab x Versionen dieses Stückes, erst ist es gefloppt, dann gab es Zusammenwürfeleien von Musiken, der zweite Akt wurde erstmals getanzt als Tschaikowsky starb - es gibt also kein wirkliches Original.

Das Steinbruchhafte liegt Ihnen?

Schläpfer Ja. Mich hemmt die Geschichte des "Schwanensee" nicht. Ich betrete kein Neuland. Und das Stück ist auch kein Heiligtum. Gleichzeitig ist es ein großartiges Werk, ein vielschichtiger Stoff.

Mit psychoanalytischen Motiven, die Sie reizen?

Schläpfer Die können einen reizen, aber da bin ich noch nicht sicher. Es ist schon interessant, dass die sogenannten weißen Akte, in denen der weiße Schwan auftritt, sehr formal gestaltet sind - und doch vom Unbewussten handeln. Eigentlich sind sie abstrakt, sie erzählen fast nichts - und gerade darum sind sie so großartig.

Was interessiert Sie dann?

Schläpfer Zum Beispiel das Originallibretto. Darin ist etwa die Figur des bösen Zauberers Rotbart viel weniger beherrschend als in späteren Fassungen. Ich möchte die Figuren erzählen. Ich will dieses Stück nicht biegen und brechen, bis man es nicht wiedererkennt. Das Märchen muss erzählt werden, es muss dramaturgisch durchgesponnen sein. Das finde ich schön.

Haben Sie sich auch für dieses Märchen entschieden, weil wir gerade Zeiten erleben, in denen sich Gutes in Dunkles verkehrt und man sich nicht auf den Augenschein verlassen kann.

Schläpfer Die Zeit war einfach für mich jetzt reif. Für so eine Arbeit braucht man 1,5 Jahre Vorbereitungszeit, man muss sich lange vorher für eine musikalische Version, für Schnitte entscheiden, das verlangt künstlerischen Raum, den ich gerade habe, auch weil ich jetzt Remus Sucheana als Ballettdirektor an meiner Seite habe. Jetzt bin ich so weit, eine Geschichte zu erzählen.

(dok)
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