Euro-Liga mit Auf- und Absteigern

Der Wirtschaftsprofessor Hans-Werner Sinn plädiert für eine "atmende Währungsunion" mit flexiblen Mitgliedschaften.

Einen "Freifahrtschein für eine Politik der Vergemeinschaftung der Haftung für (fremde) Staatsschulden" - darin sieht der ehemalige Präsident des renommierten Münchner Ifo-Instituts, Professor Hans-Werner Sinn, die Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juni 2016 zur Euro-Rettungspolitik, das er als "Unterwerfung" kritisiert. Zusammen mit dem Brexit nur zwei Tage später spricht er deshalb vom "schwarzen Juni", so auch der Titel seines jüngsten Buches zur deutschen Europapolitik.

Der Stein des Anstoßes: Mit seiner Entscheidung zum Aufkauf von Staatsschuldtiteln habe das Verfassungsgericht "der EZB grünes Licht für eine Politik gegeben, die in riesigem Umfang Vermögensrisiken in Europa umverteilt - vor allem zulasten Deutschlands". Dies erzwinge "endgültig" die Haftungsunion mit Südeuropa. Deutsche Bürger hätten "nun keine Möglichkeit mehr", gegen eine "noch stärkere" Haftungsübernahme "ohne Kontrolle durch irgendwelche Parlamente" zu klagen. Dies sei "ein beispielloser 180-Grad-Schwenk" des obersten deutschen Gerichts. Und mit dem Brexit werde Deutschland zudem noch seine "Sperrminorität im EU-Ministerrat" verlieren, so dass dort "die Machtbalance verloren gehe" zugunsten der Südländer.

Für Sinn hat dieser "schwarze Juni" das Fass zum Überlaufen gebracht. Sein Kernpunkt ist die Aufsehen erregende Forderung, dass "Deutschland jetzt die Änderung der EU-Verträge verlangen muss", um damit eine Änderung der außer Kontrolle geratenden EU zu erreichen, parallel zu den Austrittsverhandlungen mit Großbritannien, notfalls auch mit der Drohung "einer Änderungskündigung der EU-Verträge". Ziel müsse eine "Neukonstruktion Europas" sein, die "im Wesentlichen drei Bereiche (betreffe): Erstens den Euro, zweitens die Migration und drittens das Subsidiaritätsprinzip."

Dafür präsentiert Sinn einen 15-Punkte-Plan, der vor allem eine "atmende Währungsunion", also ein zeitweiliges Ausscheiden bankrotter Staaten, eine Konkursordnung für diese, die Tilgung der Target-Verbindlichkeiten, EZB-Stimmrechte nach Haftung und Größe der Mitgliedsländer, einen europäischen Subsidiaritätsgerichtshof, Regeln für assoziierte EU-Mitglieder sowie eine europäische "gemeinsame Armee" vorschlägt.

Die meisten Vorschläge Sinns sind sinnvoll, dürften aber gerade deshalb nicht aufgegriffen werden, weil sie nicht zu dem von den Südländern favorisierten Marsch in die Haftungs- und Transferunion passen. Und ob die "planlose Politik" in Berlin (J.Becker und C.Fuest, FAZ, 02.12.2016) sich zu einer Änderungskündigung der EU-Verträge aufraffen kann, um so Verbesserungen möglich zu machen, erscheint heute nahezu ausgeschlossen.

Kurios wird es, wenn Sinn eine EU-Armee vorschlägt, nach dem Motto, "die EU-Länder legen ihre Armeen zusammen". Das hat schon bei den Währungen ins Abseits geführt. Eine Arbeitsteilung, insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich, wäre eine wirkliche Alternative, denn Handlungsbedarf besteht hier schon. Die knappen Vorstellungen, die Sinn hier entwickelt, wirken aber etwa so, als wenn ein pensionierter Nato-General Vorschläge zur europäischen Währungspolitik macht. Nicht nur, wenn Deutschland bereits die Forderungen der Südländer bereits erfüllt hätte, "würde sich Frankreich kaum noch dazu bereitfinden, das Kommando über seine Streitkräfte abzutreten", wie Sinn selbst vermerkt. Denn allein die Verfügung über die (französischen") Atomwaffen ist eben nicht "teilbar".

Immerhin zeigt der Währungsexperte Sinn: Alternativen gibt es immer! Deshalb ist das Buch des emeritierten Professors auch Pflichtlektüre für alle, die in der aktuellen Europadiskussion politisch mitreden wollen.

(RP)
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