Exzentriker mit Surfbrett

"Love & Mercy" erzählt die Geschichte der Beach Boys. Im Mittelpunkt steht dabei Brian Wilson. Nun gibt es den Film auf DVD.

Mike Love ist ein Beach Boy, er ist unzufrieden, und während eines Streits bringt er es auf den Punkt. "Sogar deine fröhlichen Songs sind traurig", beschuldigt er Brian, den Komponisten und kreativen Kopf der Band. Der steht nur da und schweigt. Weil er einfach nicht anders kann. Und weil es keiner besser kann als er.

Da sind die Beach Boys, nach einigen extrem erfolgreichen Jahren, schon fast am Ende. Und Brian Wilson steht an einem Scheideweg, der ihn zu kreativen Höhenflügen als Solokünstler führen wird, aber auch in den psychischen Bankrott. Einmal wird er drei Jahre lang das Bett nicht verlassen. "Ich höre seit 1963 Stimmen", sagt er viel später, in den 80ern, zu seiner neuen Freundin Melinda.

Mitte der 60er waren die Beach Boys so etwas wie die Strandversion der Beatles. Hits wie "Wouldn't It Be Nice" und "Good Vibrations" dudeln bis heute im Radio rauf und runter. Dass hinter den so gekonnt sommerleichten Songs ein gequälter Künstler stand, ist weniger bekannt.

Als Produzent von "The Tree of Life" und "Brokeback Mountain" hat Bill Pohlad Erfahrung mit wuchtigen Dramen. Umso mehr überrascht, wie pathosfrei und unkonventionell sein Regiedebüt daherkommt. Pohlad verzichtet auf die klassische Chronologie, mit der gängige Biopics ein Künstlerleben herunterbeten. Stattdessen wechselt er episodisch zwischen psychedelisch bunt gefärbten 60ern und gräulich kalt gefilmten 80ern. Und er vertraut Brians Geschichte gleich zwei Hauptdarstellern an. Ein etwas zu routinierter John Cusack übernimmt den Part des gealterten Sängers. Aber "12 Years A Slave"-Nebendarsteller Paul Dano ist ein wahres Ereignis als Brians junges Ich. An Danos Intensität liegt es, dass seine Zeitschiene die bessere ist.

Dano spielt Brian als sanften, rührend verletzlichen Jungen mit Milchgesicht, Pilzfrisur und wachsendem Schmerbäuchlein. Ein Genie zu sein ist schwer genug, aber missverstandene Genies wie Brian gehen durch die Hölle. Himmlische Musik und infernalisches Gekreisch suchen seinen Kopf abwechselnd heim. Und das Kreischen wird immer lauter.

Die Beach Boys surfen auf der Erfolgswelle. Doch Brian schickt die Band allein auf Japan-Tour, damit er in Ruhe das Album "Pet Sounds" vorproduzieren kann, das "wie die Beatles sein soll, nur besser", wie er seinen Brüdern erklärt. Er beginnt Stimmen zu hören und Dinge zu sehen, die er mit LSD bekämpft. 1964 hat er seinen ersten Nervenzusammenbruch. Leistungsdruck und der Psychodrill des ewig unzufriedenen Vaters geben den Rest dazu, Brian verliert seelisch den Halt. Zwei Jahrzehnte später ist er ein mit Medikamenten randvoll gepumptes Wrack unter der Fuchtel des schmierigen Mentors Eugene Landy (furchterregend gut: Paul Giamatti). Bis Brian der Autoverkäuferin Melinda Ledbetter (Elizabeth Banks) begegnet. Sie wird sich als seine Retterin erweisen. Als erster Engel nach einer endlosen Parade von Dämonen.

Pohlad widmet sich diesem begnadeten, bemitleidenswerten Jungen mit einem Minimum an Melodram und einem Maximum an Verständnis. Wunderbar gelingt ihm das Zeitkolorit: Besonders mitreißend sind ein paar im Originalstudio der Beach Boys gedrehte Szenen, mit echten Musikern und authentischen analogen Tonaufnahmen.

Brian produziert dort das legendäre Album "Smile", und der Exzentriker in ihm übernimmt das Kommando. Der 24-Jährige lässt Hunde ins Mikrofon bellen, sucht den Raum nach Geistern ab, traktiert Cellisten und Schlagzeuger stundenlang, damit sie exakt das spielen, was nur er hört. "Ich glaube, ich werde verrückt", sagt er eines Abends über einem Bier zu seinen Brüdern. Die nicken nur.

Zwanzig Jahre später verliebt Melinda sich in das Wenige, was Stimmen und Pillen von Brian übrig gelassen haben. Elizabeth Banks spielt diese Frau wunderbar handfest, unbeirrbar, mit einem komischen Faible für blonde Betonfrisuren. Dennoch bleiben Melindas innerste Beweggründe im Grunde ein Rätsel und ihre Romanze mit Brian der klischeehafteste, am wenigsten mitreißende Part des Films.

Bis heute sind Wilson und Ledbetter verheiratet. Beide nahmen als Berater an der Produktion des Films teil. Wilsons visionäres Album "Pet Sounds", das die Hörgewohnheiten des Publikums Mitte der 60er noch heillos überforderte, gilt heute als Meisterwerk. Wilsons große Kunst lag immer darin, brillant Leichtes zu komponieren, dem man die Schwere nicht anmerkte. Pohlad schafft etwas Ähnliches.

Sein Film plätschert kurzweilig dahin wie ein Beach Boys-Song. Und direkt darunter tut sich eine düstere, faszinierende Welt auf.

(RP)
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