Göteborg Famoser Symphoniker Kurt Atterberg

Göteborg · Die Göteborger Symphoniker unter Neeme Järvi entdecken ein Genie.

Morgens ging der Mann ins Büro und prüfte, was sein Heimatland an relevanten Neuerungen für die Zukunft erfand. Auf Expertisen, die den wahren Fortschritt von Amateurbasteleien trennten, verstand er sich; jedermann schätzte das Urteil des erfahrenen Ingenieurs, und seinen Beruf im Königlichen Patentamt in Stockholm liebte er über alles. Doch wenn er abends das Büro verließ, eilte er sogleich zu seiner zweiten großen Liebe und verwandelte sich in einen der bedeutendsten Komponisten Skandinaviens.

Der Mann war kein Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Schweden wusste seit langem Bescheid über diese geniale Doppelbegabung namens Kurt Atterberg (1887 bis 1974), der seine Memoiren unter dem Titel "Gebrauchsanweisung" veröffentlichte. Atterbergs Leben war aber keineswegs missverständlich, jedoch reichhaltiger als bei anderen: Schon früh war er ein exzellenter Cellist, studierte einige Semester Komposition und brachte sich den musikalischen Rest autodidaktisch bei. Später arbeitete er als Dirigent, als Präsident der schwedischen Komponistenvereinigung und als Musikkritiker. Ein Profi für eigene und fremde Ideen.

Der Komponist Atterberg war Schwedens bedeutendster Spätromantiker, ein glühender Verfechter weit aussingender Melodien und üppigen Orchesterklangs. Europa wusste diese Vorzüge zu schätzen: Seine 5. Symphonie d-Moll wurde von den Berliner Philharmonikern uraufgeführt - sozusagen Atterbergs eigenes Patent.

Jetzt machen sich die fabelhaften Göteborger Symphoniker unter Neeme Järvi an eine neue Gesamtaufnahme aller Symphonien, eine supranationale Tat, die alle Intendanten auffordert, diese Musik aufs Programm zu setzen. Vor allem die kühne, selbstbewusste 2. Symphonie F-Dur (1913): Sie ist eine Art Mächtigkeitsspringen, jeder Satz endet so imposant, als sei er das Finale. Atterberg gab immer reichlich, und der Hörer badet gern in diesem prachtvollen Sound. Dagegen ist die Achte eine fast schmerzliche Reminiszenz an heimatliche Volkslieder. Manche Passagen wären der ideale Soundtrack zu einem ZDF-Sonntagsabend-Melodram von Inga Lindström: endlich original schwedische Qualität hier, von einem patentierten Symphoniker!

Info Kurt Atterberg, Symphonien Nr. 2 und 8; Göteborger Symphoniker, Neeme Järvi (Chandos)

(RP)
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