Düsseldorf Faust liebt ein Gretchen aus der Bronx

Düsseldorf · Das Düsseldorfer Schauspiel feierte eine begeisternde Premiere von "Faust (to go)" in einer Kirche.

Was für eine Idee! Faust ist unterwegs im Wohnmobil. Mit Hochgeschwindigkeit treibt es ihn an die Orte, an denen wir heute leben. Zu den Rheinwiesen, ans Fortuna-Büdchen, in den Hundesalon und zu allerlei pulsierenden Orten des Vergnügens. Gretchen hat lila Haare und trägt auf ihrem T-Shirt die Frage "Was ist ...?". Später, als sich ihre Persönlichkeit auflöst, löst sich auch die Frage auf ihrem Oberteil auf zu "... eine gute Partie?"

Der Teufel ist Typ Draufgänger, nicht unähnlich den jungen Männern, die rund um den ersten Aufführungsort Christuskirche die Straßen bevölkern. Heinrich Faust schließlich ist ein hochdramatischer Kopf, der gestern, heute und morgen leben kann. Der Fragen an das Leben stellt, die niemals eine erschöpfende Antwort finden werden. Fragen, die klug sind, die den Menschen verzweifeln und wenig hoffen lassen. Es sind die Fragen, die Goethes Meisterwerk für alle Zeiten mit hoher Relevanz festschreiben.

Düsseldorfs Intendant Wilfried Schulz hat mit der neuen Premiere seiner ersten Spielzeit seine Auffassung von Theater verdichtet. Ein Text muss mit aller Wucht und Intensität zu den Menschen dringen, das ihn umgebende Spiel muss Sinn machen und darüber hinaus unerhörte Freude bereiten. Dafür gab es herzlich anerkennenden Applaus.

Mit Regisseur Robert Lehniger hat der Intendant einen guten Griff getan. Lehniger ist auch Videokünstler, er verbaut eine eigene auf knapp zwei Stunden kondensierte Fassung in einem mehrdimensionalen Raum dank künstlerischer Videoinszenierungen. So verklammert er die im Werk angelegten Ebenen der Realität im spartanisch ausgestatteten Bühnenraum, der sich zur Premiere in den Kirchenraum fügt.

Die Idee von "Faust"mit dem Zusatz "to go" bringt Goethe zu den Menschen nach Hause einerseits, man kann die Produktion des Düsseldorfer Schauspiels buchen. Andererseits entspringt das "to go" einer Maxime unserer Zeit, der Wegwerfmentalität, dem Streben nach unbedingtem Genuss, wenn nur die Nachfrage da ist, scheint alles machbar. Auch unser Faust, der sich anfangs mit greisenhaftem Antlitz vom Seziertisch der Pathologen erhebt, will Leben to go. Während Torben Kessler in der Titelrolle Goethes Verse fein deklamiert, mit Körperpoesie und Augenspiel seine Worte unterstreicht, baut er hitzig und dauererregt den Crash seines Daseins. Er kann nicht verweilen, dem Augenblick nicht trauen.

Diese große Versuchsanordnung ist bis ins kleinste Detail mit künstlerischer Wucht durchkomponiert. In jeder Bewegung des fantastischen Ensembles, in jeder Temperierung von Gefühlen, in jedem Szenenaufbau, in Choreographie und Musik steckt fantasievolle Regiearbeit. Manche Bilder, wie das Linienporträt zu Beginn, leben auf dem Videoschirm für sich alleine. So geht Kunst von heute.

Die Schauspieler kommen sehr nah: Stefan Gorski (Mephisto) war schon als Romeo brillant, er ist der Teufel in Person. Thiemo Schwarz ulkt schwarzhumorig herum, Anya Fischer ist durchtrieben, sexy und sachlich. Ja, und dieses Gretchen aus der Bronx, eine Debütantin, spricht mit den Augen, öffnet ihr Herz mit Signalen, die sie erfindet. Cennet Rüya Voß ist schuld daran, dass wir vom atemberaubenden Gretchendrama sprechen dürfen.

(RP)
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