Düsseldorf Feten-Hits für tagsüber

Düsseldorf · Die Britin Tracey Thorn hat ein sehr erwachsenes Pop-Album veröffentlicht.

Das ist das Tolle am Pop, dass man sich bestimmten Menschen auf besondere Art verbunden fühlt, obwohl man sie nie getroffen oder gesprochen hat. Tracey Thorn ist so eine Person, die viele ins Herz geschlossen haben, und der Grund dafür ist die Musik, die sie seit bald 40 Jahren veröffentlicht.

Thorn gehörte Anfang der 1980er Jahre zu den Marine Girls, einer ebenso an Punk und Jazz interessierten Indie-Band, die ein wunderbares und von Kurt Cobain vielbeschwärmtes Debütalbum produzierte. Sie war eine Hälfte von Everything But The Girl, die andere Hälfte war ihr Mann Ben Watt, den sie an ihrem ersten Tag an der Uni in Hull traf, wo sie eine Abschlussarbeit über Samuel Beckett schrieb. Das Duo begann mit jazzigen Balladen, experimentierte mit Elektronik, und 1994 hatte es einen Nummer-eins-Hit. "Missing" heißt der - den Refrain bekommt man nicht mehr aus dem Ohr: "And I miss you / Like the deserts miss the rain."

Tracey Thorn hat für Style Council gesungen und für Massive Attack; im Studio zumeist, denn wegen ihres Lampenfiebers trat sie selten live auf, seit 2007 gar nicht mehr. Sie und Ben Watt sind Eltern von Zwillingen geworden, eher unverhofft, wie sie augenzwinkernd verriet, und inzwischen haben sie auch noch einen Sohn. Thorn hat eines der besten Erinnerungsbücher des britischen Pop geschrieben "Bedsit Disco Queen" nämlich, das muss man unbedingt lesen, weil es so lustig ist. Nun ist sie 55 Jahre alt und legt ihr neues Soloalbum vor: Es heißt "Record" und ist wunderbar.

Der Produzent Ewan Pearson arrangierte die Stücke, es sind in der Mehrzahl elektronische Midtempo-Disconummern, auf die Thorn ihre manchmal wehmütigen, meistens ziemlich heiteren und immer berührenden Texte singt. Ihre Stimme ist etwas tiefer geworden, das steht ihr sehr gut. Die Band Warpaint unterstützt sie, außerdem die Soul-Sängerin Corinne Bailey Rae. Die Stücke handelten von den "Meilensteinen im Leben einer Frau", sagt Thorn, genauer: "nine feminist bangers". Tatsächlich ist das abgeklärter und gelassener Pop für Erwachsene. Thorn berichtet in den Songs, wie sich ihre Heimat London verändert hat, wie schwierig es ist, Kinder ziehen zu lassen, und wie es sich anfühlt, wenn die Töchter mit Sexismus konfrontiert werden.

"Record" ist im Grunde ein Band mit autobiografischen Kurzgeschichten. Erzählt werden sie von einer Frau, die einst Sylvia Plath bewunderte, Patti Smith verehrte und Germaine Greer las. Diese Hausheiligen haben ihr das Rüstzeug für das Leben in der Gegenwart mitgegeben, und die Lehre lautet genauso wie die Quintessenz des Pop: Es kommt allein auf den Moment an.

Das letzte Stück des Album heißt "Dancefloor" und ist ein verhalten glamouröser Feten-Hit. Wenn sie tanze, dann nur noch tagsüber in der Küche, sagt Tracey Thorn. Sie sei eine erwachsene Frau. Aber sie denke doch immer noch wie ein Mädchen.

Total sympathisch.

(hols)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort