Filbingers Tochter: "Ich trage einen großen, aber beschädigten Namen"

Susanna Filbinger-Riggert hat ihr Leben aufgeschrieben. Sie hat sich in ihrem Buch auch auf Spurensuche nach dem Vater begeben. Hans Filbinger (CDU) trat als Ministerpräsident von Baden-Württemberg 1978 zurück, nachdem seine Tätigkeit als "Hitlers Marinerichter" während des Dritten Reichs öffentlich neu bewertet wurde.

Filbingers Tochter: "Ich trage einen großen, aber beschädigten Namen"
Foto: Endermann, Andreas

Rosen schmücken die Bilder von Vater und Mutter. Sie stehen im Wohnzimmer von Susanna Filbinger-Riggert auf einem Tischchen am Sofa: Mutter Ingeborg, gestorben 2008, hatte gerade Geburtstag — daher die Blumen. Daneben das Foto des Familienpatriarchen: Hans Filbinger, gestorben 2007, CDU-Politiker, Ministerpräsident in Baden-Württemberg, wertekonservativ, kompromisslos ("Freiheit oder Sozialismus"), polarisierend und erfolgreich. 1978 trat der promovierte Jurist von seinem Amt zurück, nachdem er durch eine Buchveröffentlichung des Dramatikers Rolf Hochhuth als Nazi gebrandmarkt worden war. In Hochhuths 1978 erschienenem Roman "Eine Liebe in Deutschland" ist Hans Filbinger "Hitlers Marinerichter", der Todesurteile vollzogen hat. Von da an war die historische Debatte eröffnet und Filbinger in seinem Ruf beschädigt.

Susanna Filbinger-Riggert ist die Älteste von fünf Geschwistern, Jahrgang 1951; Susala, wie ihr Vater sie nannte, war ein Papakind. Seit der Veröffentlichung ihres Buches "Kein weißes Blatt" kann sie sich vor Interviewanfragen nicht mehr retten. So groß ist das Interesse an ihrer Familiengeschichte, immer noch steht die Frage nach der Schuld ihres Vaters und nach seiner nicht erfolgten öffentlichen Reue im Raum. Bis zu seinem Tod hatte sich Hans Filbinger um Rehabilitation bemüht. Der Versuch des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger, seinen Vorgänger Filbinger in der Trauerrede reinzuwaschen, misslang. Oettinger hatte am 11. April 2007 im Freiburger Münster gesagt: "Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes". Diese Rede stieß auf heftige Kritik. So warf ihm der Historiker Paul Nolte "Geschichtsfälschung" vor.

Nun ist dieses Buch auf dem Markt und die Erwartungen sind groß, ob es neue Erkenntnisse, intime Einblicke, Rechtfertigungen geben wird. Susanna Filbinger-Riggert stellt der Vater-Tochter-Biografie ein Vorwort voran, das mit dem Satz beginnt: "Mein Vater war Marinerichter in einem totalitären, verbrecherischen System und hat als solcher moralisch Schuld auf sich geladen. Wie viele andere Offiziere hat er sich für das Funktionieren des ,Systems Wehrmacht' instrumentalisieren lassen". Sie sei weit entfernt davon, den Vater zu verteidigen. Sie will sein Verhalten nicht entschuldigen. Autoritär sei er gewesen, aber auch sehr sensibel. "Seine Wagenburg-Mentalität machte es ihm unmöglich, loszulassen".

Ihr badisches Elternhaus und das Leben in der großen, die Rituale liebenden Familie haben sie geprägt. Sie ist wie ihr Vater Katholikin, Christin. Und wenn sie sich heute vorstellt, dass er dem Akt einer Exekution beigewohnt hat, dann sei das nicht zu entschuldigen. Auf der anderen Seite will sie mit Bewertungen vorsichtig umgehen, gerade in der Befangenheit einer nach dem Krieg geborenen Frau. Es gebe in der Geschichte kein Schwarz und Weiß, in der Mitte liege die Wahrheit.

Susanna Filbinger-Riggert spricht mit leiser Stimme, sie ist kaum zu verstehen unter dem Fluglärm von Meerbusch nahe Düsseldorf. Nur zögerlich hat sie dem Hausbesuch zugestimmt, zu heikel sei das Thema ihres Buches: neben der Beschreibung eines von Krisen durchrüttelten Frauenlebens ist es auch die Spurensuche nach ihrem Vater, die neues Futter erhielt durch den Tagebuchfund, den sie bei der Auflösung des elterlichen Hauses machte. 60 Bücher hat Hans Filbinger verschnürt bis zu seinem Tod auf einem Bücherregal aufbewahrt. Niemand wusste davon, die Tochter kann nicht einmal sagen, ob ihre Mutter die Bücher je gelesen hat.

Im vergangenen Jahr erst nahm sie sich die kleinen Kladden aus dem Krieg vor, "das Brisante", wie sie sagt, "der starke Tobak" in den Tagebuchaufzeichnungen, die Filbinger in nur schwer zu entziffernder Handschrift verfasst hatte. Vom 3. September 1940 datiert ein Eintrag aus Norwegen. Darin beschreibt er, was das Militär mit ihm anstellte, dass es Orientierung und Disziplin vermittelte. Und dass Gewehrgriffe die Seele verflachen. Er litt laut Tagebuch an der "Trockenheit des Herzens".

An anderer Stelle der Tagebücher, die heute bei der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Aufarbeitung liegen, klagt er, nur einen Herrgott für das Morgengebet zu haben, indes keinen für die Fragen von Gerechtigkeit. Nichts gefunden habe sie in Vaters Aufzeichnungen über den "Gott des Alltags", über das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten! Es ging fast immer darum, was Krieg bedeutete. Rassistische oder ideologische Bekenntnisse habe er an keiner Stelle seiner Einträge abgegeben, sagt die Tochter.

Sechs Jahre nach dem Tod des Vaters empfindet sie keinen Groll. Sie ist dankbar für viele gute Jahre, auch wenn ihr das Leben schwere Aufgaben aufgebürdet hat. Fragt man sie nach der Güte ihres prominenten Namens, ob er nicht für immer beschädigt sei, dann sagt sie: "Es kommt darauf an, mit wem Sie sprechen!" Dieser Name hat ihr bei ihrem beruflichen Aufstieg — heute ist sie als Unternehmensberaterin tätig — und bei ihrer Odyssee durch die Welten oft genützt. Einmal hat er sie ihre Stelle gekostet.

Mit ihrem Politik- und Geschichtsstudium war Susanna Filbinger nach England gegangen, dort schloss sie ein Wirtschaftsstudium an. Später ist sie in die USA aufgebrochen, wo sie mit Green Card arbeitete und in spannenden Berufsfeldern unterwegs war. In Amerika zog sie in Abwesenheit und ohne Unterstützung des Kindsvaters ihren Erstgeborenen Johannes auf, finanziell schlecht gestellt, oft allein. Dieses Auf und Ab im Leben einer unerschrocken ehrgeizig agierenden jungen Frau beschreibt sie mit berührender Präzision. Das ist der Kern dieses lesenswerten Buches, der Geschichte eines typischen emanzipatorischen Aufbruchs in Folge der 1968er Jahre. Und doch ist die dominierende Vaterfigur stets im Hinterkopf der Autorin wie auch vor den Augen des Lesers präsent. Durch das Schreiben hat sich Filbinger-Riggert von einer seelischen Last befreit, obwohl sie nicht alles habe aussprechen können. Sicher habe sie nach Wahrheit gesucht. "Doch wenn es keine endgültige Antwort gibt, dann muss es gut sein. Für das schlimmste Leid gibt es Heilung. Mit Vergeben bekommt man es hin, durch Vergeben löst sich jede Bitterkeit."

Unser Gespräch in ihrem eleganten Wohnzimmer will kein Ende nehmen, zu viele Dinge werden beim Erzählen wieder wachgerufen. Mit ihrem Vater ist Susanna Filbinger-Riggert heute im Reinen. "Wenn er jetzt hier sitzen würde, würde ich ihn mit Liebe fragen: ,Warum hast du mir das nicht erzählt?"

(RP/gre)
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