Sechs neue Folgen geplant Akte X: Warum ich die Serie geliebt habe und das Reboot fürchte

Düsseldorf · Der US-Sender Fox hat in seinen Archiven gekramt und ist dabei auf die X-Files oder bei uns "Akte X" gestoßen. Von 1993 bis 2001 etablierte die Erfolgsserie eine neue TV-Kultur und soll nun mit sechs Folgen wieder zurückkehren. Aber eine Frage bleibt: Warum?

 Das "Akte X"-Ermittlerteam Scully und Mulder.

Das "Akte X"-Ermittlerteam Scully und Mulder.

Foto: ap

Es war im September 1994 an einem Montagabend. Gelangweilt von den ewigen Soap Operas, Krankenhaus-Tragödien und immer gleichen Polizeidramen gab es kaum etwas, das mich im Fernsehen ansprach. Da startete auf dem Privatsender Pro7 eine Serie mit dem seltsamen Namen "Akte X". Es war die Zeit, als es noch kein Internet in der heutigen Form gab. Der Name war nichtssagend, und das Stichwort "FBI" klang eher nach einer weiteren Krimi-Reihe.

Dann kam die große Überraschung. Es ging um die Entführung Jugendlicher auf dem platten US-Land und Experimente — durchgeführt von Aliens. Möglicherweise. Die erste Folge ging sehr gekonnt, spannend, packend mit Vermutungen, Unerklärlichen, Hinweisen und Beweisen um. Und mit dem, was die US-Regierung verschweigen möchte. Noch mehr aber flashte das Zusammenspiel der beiden Hauptakteure: Special Agent Fox Mulder (David Duchovny), der nach dem traumatischen Verschwinden seiner kleinen Schwester fest davon überzeugt ist, dass an den Alien-Geschichten mehr dran ist, als die Regierung zugibt.

Und Dana Scully (Gillian Anderson): eine kühle, rationale, sachliche, gebildete, selbstbewusste Ärztin, die in heftigen Streitgesprächen den überschwänglichen, emotionalen Mulder wieder erdete und ihn auf die Unlogik oder fehlende Fakten hinwies. Sie übernahm eine Rolle, die bis dahin im Fernsehen Männern zufiel. Und zudem war sie attraktiv, ohne der hochgestylte Modeltyp zu sein, der sonst über die TV-Bildschirme flimmerte. Zusammen präsentierten sie beide Erklärungen für die Ereignisse — die des UFO-Gläubigen und der Wissenschaftlerin. Den Zuschauer hinterließen sie mit großen Fragezeichen, was denn nun genau passiert sei. Nach jeder Folge gab es genug Diskussionsstoff.

Süchtig nach mehr Mystery

Die Serie machte mich süchtig nach mehr Unerklärlichem, nach mehr Mystery. Es war die Zeit, als es noch nicht das Internet gab, in dem sich Verschwörungstheoretiker in Blogs oder Youtube-Videos präsentieren konnten. Vielmehr war es eine Subkultur, von der man in seltsamen RTL- oder Sat1-Dokus immer wieder etwas gesehen oder gehört hatte. In "Akte X" war das alles auf einmal TV-Realität, die von der packenden Inszenierung lebte, der Ironie und der Chemie zwischen Anderson und Duchovny. Ich konnte es kaum abwarten, bis die Woche um war und die nächste Folge lief. Und wie mir ging es bald Millionen in Deutschland und weltweit.

Gerne übersah ich, dass der Serie ein größeres Konzept fehlte. Anfangs ging es in jeder Folge um das "Monster oder Mysterium der Woche". Nach dem überraschenden Erfolg von "Akte X" erkannte auch der Schöpfer Chris Carter, dass das auf Dauer nicht tragen würde. Und so warf er mit der Zeit immer wieder Folgen ein, die den Anschein erweckten, die einzelnen Ereignisse seien Teil einer menschenverachtenden internationalen Verschwörung. Das Ziel: die Zusammenarbeit einer mächtigen Interessengruppe mit den Außerirdischen zu verschleiern — an deren Ende die Invasion der Erde stand.

Das aber hatte Carter scheinbar erst nachträglich in die Serie gebracht. Er und die Serie verloren sich dabei, den großen Bogen zu spannen. Dafür gab es zunehmend Widersprüche und unglaubwürdige Story-Blasen. Aber auch darüber sahen wir Fans hinweg — so lange es das grandiose Zusammenspiel von Mulder und Scully gab. Immer stand die Frage im Raum, ob die beiden nun Kollegen, Freunde oder doch mehr sind. Als sie sich dann fanden, brach auch der Bogen zusammen.

Die Serie scheiterte am fehlenden Überbau

Am Ende scheiterte die Serie daran, dass es keinen Überbau gab, dass die Serie zunehmend ziellos wurde und die aufgesetzte große Geschichte nicht zündete. Zunehmend konnte man sehen, wie gelangweilt David Duchovny mit den Jahren von seiner Rolle war, während Anderson mit jeder Staffel routiniert ihren Part "runterspielte". Als Duchovny die Serie endgültig verließ, war das Ende eigentlich schon gekommen. Dennoch presste der Sender Fox noch zwei Staffeln heraus, die vor sich hin plätscherten. Der Versuch von Chris Carter im Finale der Fernseh-Welt zu beweisen, dass er von Anfang an einen Plan hatte, scheiterte peinlich.

Die letzte Folge tat einem Fan wie mir weh und brachte die Erkenntnis, dass die Serie viel früher hätte aufhören sollen. Vielleicht nach der fünften Staffel und dem Kino-Film 1998. Dann hätte man "Akte X" in seiner Erinnerung bewahrt als ein TV-Ereignis. So aber war es wie mit einer missglückten Beziehung. Am Ende blieb man nur aus Routine zusammen, die große Liebe aber war erloschen. Zumal zum Ende der Serie das Internet längst Einzug in viele Haushalte gehalten hatte. Das Überraschende war damit verflogen. Man musste nur "UFO", "Conspiracy" oder "Verschwörung" in eine Suchmaschine eingeben und landete bei unzähligen Seiten selbst ernannter Aufklärer, die sich selbst als "wahre X-Akten" bezeichneten.

Was geblieben ist von der Serie: Dana Scully als attraktive, rationale Wissenschaftlerin war das erste Pin-up der Nerds, und sie durchbrach das Macho-Gehabe der US-Sender. Sie bewies, dass eine starke, selbstbewusste Frau durchaus tragen kann. Eine Serie wie "Buffy" oder "Fringe" wäre ohne sie wahrscheinlich nicht möglich gewesen, in der explizit eine Frau die Hauptrolle übernahm. Fantasy, Mystery und Science Fiction wurden als Themen erkannt und etabliert. Das spätere Fernseh-Phänomen "Lost" hat seine Wurzeln in den X-Files ebenso Erfolgsserien wie "Supernatural" oder "American Horror Story".

Das Erbe reicht in die Zukunft

Aber das Erbe reicht weiter. Chris Carter und sein Team mussten sich im damals noch jungen Sender Fox behaupten, der ständig nervös war, weil die Serie eben nicht den klassischen Mustern folgte. Vielmehr zeigte man ambivalente Charaktere wie Mulder mit seiner Pornosucht, die teilweise fragwürdige Dinge tun. Für heutige Verhältnisse ist das alles etwas bieder und harmlos inszeniert. Damals aber war es TV-Neuland, in dem sich die Autoren gegen die Sender-Obrigen durchsetzten. Dieses neue Selbstbewusstsein der Kreativen ließ sich nicht mehr einfangen.

Zum Team gehörte Vince Gilligan, der hinter "Breaking Bad" und "Better call Saul" steckt. Howard Gordon war an "24" beteiligt und entwickelte "Homeland". Tim Minear war am Buffy-Spin-Off "Angel" sowie der viel zu früh abgesetzten Serie "Firefly" beteiligt und produziert nun "American Horror Story". John Shiban gehörte ebenfalls zum "Breaking Bad"-Team und ist jetzt verantwortlich für "Da Vinci's Demons". Ohne den Erfolg der X-Akten und die damals geführten Kämpfe hätten sie ihre Ideen niemals umsetzen können.

Aber auch gesellschaftlich hat die Serie bis heute Wirkung. Ein offenbar bereits latent vorhandenes Misstrauen gegenüber der US-Regierung hatte mit "Akte X" ein Ventil gefunden. Insbesondere die Gruppe der "Einsamen Schützen", die immer wieder als Mulders Freunde auftauchten, redeten gerne über Desinformation, Kontrolle und Überwachung der Bevölkerung durch Regierungskreise. Das durch die Serie bestätigte und gestärkte Misstrauen ist bis heute geblieben.

Warum?

Und warum lässt man die Serie nicht in Frieden ruhen? Der US-Sender Fox hat vergangenes Jahr nach dem Aus in 2010 erfolgreich die Agentenreihe "24" mit Kiefer Sutherland wiederbelebt. Nun möchte man das anscheinend mit "Akte X" wiederholen — obwohl der zweite Kino-Film 2008 ein grandioser Flop war. Auch weil er die Wurzeln der Serie mehr oder weniger verleugnete. Und ich befürchte, dass die Kurzstaffel ein ähnliches Schicksal nehmen wird. Denn die Geschichte um Mulder und Scully, und um die beiden ging es irgendwann in der Serie fast nur noch, ist auserzählt.

Das Unerklärliche haust im Internet an jeder Ecke, Misstrauen gegenüber der Regierung ist nichts Besonderes mehr und seit dem 11. September 2001 beherrschen andere Verschwörungstheorien als Aliens das Netz. Das faszinierend Mysteriöse der Serie war ein Spiegelbild für eine Welt, die in den 90ern nach dem Ende des Kalten Krieges und angesichts der bevorstehenden Jahrtausendwende verunsichert war. Doch diese Zeit ist vorbei. Und die damals subversiven, kühnen, wilden Behauptungen der "Einsamen Schützen" in der Serie zur Überwachungswut der Geheimdienste wurden mit Edward Snowden und dem NSA-Skandal längst von der Realität überholt.

Ich behalte die ersten fünf Staffeln und den ersten Kinofilm von 1998 in guter Erinnerung an eine grandiose TV-Beziehung. Doch wie im wahren Leben führt jeder Versuch, das einstige Feuer erneut zu entfachen, meist zu der Erkenntnis, dass die Glut erloschen ist. Endgültig.

(RPO)
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